Schuldig bis zum Beweis der Unschuld

10. Nov. 2009 | Kommentare deaktiviert für Schuldig bis zum Beweis der Unschuld

Die Unschuldsvermutung ist ein Grundprinzip des rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Sie besagt, dass nur der als schuldig gilt, dessen Schuld auch bewiesen wurde. Insbesondere die Presse legt hierbei jedoch gerne „geringfügig“ andere Maßstäbe an. Je mehr ein Medium dem Boulevard zugeneigt ist, desto schuldiger ist ein Beklagter, solange er seine Unschuld nicht bewiesen hat. Ich will jetzt gar nicht auf die Schalker Finanzlage eingehen, ganz einfach weil ich die genauen Details nicht kenne. Aber ich möchte anhand von zwei Zitaten aus der aktuellen Presse einmal zeigen, dass die ganze Kiste längst eine „Henne oder Ei“-Angelegenheit geworden ist. In der „NRZ“ wird Essens Oberstaatsanwalt Wilhelm Kassenböhmer heute wie folgt (indirekt) zitiert:

Die Ende Oktober aufgenommenen Ermittlungen (…) seien aufgenommen worden, nachdem eine Privatperson aufgrund der Medienberichterstattung Strafanzeige erstattet habe, sagte Kassenböhmer. „Wir werden jetzt prüfen, ob an dem Vorwurf irgendetwas dran ist” und ob die Anzeige Anlass gebe, Maßnahmen in die Wege zu leiten. Die Ermittlungen befänden sich noch in einem „ganz frühen Stadium”, sagte der Oberstaatsanwalt weiter. „Wir ermitteln nicht von amtswegen”, so Kassenböhmer. Liegt eine Anzeige vor, muss die Justiz aber aktiv werden.

OK. Da hat also „eine Privatperson aufgrund der Medienberichterstattung“ Anzeige gegen Josef Schnusenberg und Peter Peters erstattet. Das hört sich jetzt zunächst einmal wirklich unglaublich an und führt mich zu der Frage, ob in Deutschland eigentlich jeder Vollpfosten einen anderen anzeigen kann? Die Antwort: Ja klar! Ganz besonders, wenn ein irgendwie gearteter Verdacht vorliegt. Und dieser Verdacht ist beim FC Schalke und seinen handelnden Personen durchaus gegeben. Man muss ja nur einmal die Zeitungen der letzten Monate lesen. Die Anzeige war somit für den Anzeigenden wirklich gefahrlos.

In Deutschland werden tagtäglich Menschen wegen ganz anderer Sachen angezeigt, die nicht in der Zeitung stehen. Was würdest du machen, wenn du auf dem Schützenfest durch ein zufällig aufgeschnapptes Gespräch erfahren solltest, dass „der Typ da hinten am Bierstand“ ein ganz fieser Menschenhändler ist, der sich im Keller ein Verlies für chinesische Billig-Köche eingerichtet hat? Und jetzt sei vorsichtig mit dem, was du sagst (oder denkst). Denn sollte der Typ sich wirklich als ein schlimmer Verbrecher herausstellen, du aber aufgrund der ungesicherten Faktenlage geschwiegen haben, findest du womöglich drei Monate später dein Bild in der Zeitung wieder, verbunden mit der fetten Überschrift: „ER hätte es verhindern können! Warum hat ER nichts gesagt?!“ Ein total abwegiger Gedanke? Gegenfrage: Schon mal in den letzten 50 Jahren BILD gelesen?

Der Umkehrschluss, dass etwas nicht zur Anzeige gebracht werden kann, weil es ohnehin schon in der Zeitung stand, stimmt natürlich auch nicht. Denn dann würde ja jeder fiese Menschenhändler einfach die „GALA“ zu einer Homestory in sein Kellerverlies einladen und wäre daraufhin vor einer Untersuchung sicher. Ergo ist die „Anzeige des Privatmannes aufgrund der Medienberichterstattung“ gegen den FC Schalke 04, bzw. Josef Schnusenberg und Peter Peters, durchaus legitim. Und so selten kommt es nun auch nicht vor, dass Menschen des öffentlichen Lebens aufgrund von Medienberichten angezeigt werden. Zumeist füllen Nachrichten darüber jedoch die Kuriositäten-Spalten der Zeitungen. Ich erinnere da zum Beispiel an den deutschen Ex-Kanzler Helmut Schmidt, der vor knapp zwei Jahren von einem Nichtraucher-Schutzverein angezeigt wurde, weil im Fernsehen beim „quarzen“ in einem Theaterfoyer zu sehen war.

Zurück zur Unschuldsvermutung. Sie gilt auch im Falle von Josef Schnusenberg und Peter Peters. Und zwar – wie bei allen anderen – uneingeschränkt! Stand der Dinge ist, dass die Staatsanwaltschaft Essen Ermittlungen gegen die beiden aufgenommen hat. Und das bedeutet in erster Linie nur eines: Jemand hat eine Anzeige erstattet. Nicht mehr, nicht weniger. Übrigens ist es auch nicht das erste Ermittlungsverfahren gegen den FC Schalke nach einer Anzeige einer Privatperson, die sich aufgrund von Medienberichten dazu berufen fühlte. Das letzte Verfahren liegt gerade einmal knapp dreieinhalb Jahre zurück und verlief damals komplett im Sand. Es ist schon merkwürdig, dass keine Zeitung heute auf diese Episode hinweist, stattdessen aber den nebulösen Eindruck vermittelt, die Aufnahme von Ermittlungen sei bereits mehr als die halbe Miete des Schuld-Beweises.

Noch merkwürdiger aber ist, dass sich selbst die Qualitätsmedien heute verbiegen, um aus einer zunächst einmal nicht sonderlich dramatischen Angelegenheit einen großen Skandal und eine noch größere Intrige zu spinnen. So schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

Hinweise auf Machtkampf hinter den Kulissen (…) Es deutet einiges darauf hin, dass hinter den Kulissen ein Machtkampf ausgetragen wird zwischen dem aktuellen Vereinsvorstand und Investoren, die auf Vermittlung des Londoner Finanzmaklers Schechter vor Jahren in den Klub investiert haben und nun, nach dem Verkauf von Arena-Anteilen an eine städtische Gesellschaft, offenbar um einen Teil ihrer Sicherheiten fürchten.

Die FAZ vermeidet es zwar wohlwissentlich, die aktuellen Ermittlungen in einen direkten Zusammenhang mit dem von ihr thematisierten Machtkampf zu stellen, und trennt die beiden Absätze durch ein paar Standardsätze zur Schalker Finanzlage. Sie „vergisst“ aber auch zu erwähnen, wie es zu den aktuellen Ermittlungen überhaupt kam. Zumindest wundern darf ich mich da schon.

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