Walzer Statt Tango

02. Nov. 2010 | 5 Kommentare

Der folgende Text stammt von Bene, der hier häufiger kommentiert, und mich gefragt hat, ob ich auch einmal einen Gastbeitrag von ihm veröffentlichen möchte. Ich möchte.

Schalke spielt schlecht, der Kader wurde massiv umgebaut und eine geschlossene Mannschaft ist nicht zu erkennen. Die Spieler verfügen einzeln zu einem guten Teil über hohe Qualität, angeführt von einem Weltklassefußballer, einer lebenden Legende im Sturm. Schalke steht auf Platz 2 von unten, nach Platz 2 von oben in der Vorsaison.

Das große Problem derzeit liegt darin, dass man die aktuelle Leistung und Erfolgsbilanz des S04 in der letzten Saison ungefähr so erwartet hätte. Nach einem rumpligen Start sollte sich die Mannschaft finden, das neue Konzept von Felix Magath erkennen und umsetzen, sich kontinuierlich steigern und schließlich dieses Jahr eine Saison spielen wie letzte Saison, die uns Hoffnung macht, dass es nächstes Jahr tatsächlich mit dem Titel klappen könnte.

Auch wenn man letztes Jahr feiern konnte, einige Momente als Spitzenreiter verbrachte und Felix Magath schon in seinem ersten Jahr auf Schalke seinem selbstgesteckten Ziel nahe wähnte, kam der überraschende Erfolg zu schnell. Auf jeden Fall zu schnell für den Kader, teilweise auch zu schnell für uns Fans, vielleicht gar zu schnell für Felix Magath. Aber zum Glück bei den Fans wirklich nur teilweise, denn was mich derzeit besonders unter den Fans beeindruckt, ist dass wir zwar resignieren, aber kaum pfeifen oder gar die Entlassung des Trainers fordern. Bei einer solchen sportlichen Talfahrt eigentlich ein absoluter Automatismus in der Liga. Natürlich ist es derzeit niemandem nach Feiern zu Mute, verständlich. Auch meine Laune ist samstagabends meist dem Nullpunkt nahe und braucht erst mal einige Bierchen, um das Spiel zu vergessen und sich wieder dem „normalen“ Leben zu widmen. Man fühlt sich tatsächlich leer, wie Matthias richtig formuliert. Später fühlt man sich dann voll und am Tag nach dem Spiel kommen die Kopfschmerzen, vom Spiel und vom Bier… in diesem Zustand den Doppelpass auszuhalten wird zur Charakterfrage.

Jedoch bin ich der Meinung, dass wir Fans nicht aufgrund der aktuellen sportlichen Leistungen resignieren, sondern weil wir durchaus erkennen, dass Schalke noch lange nicht so weit ist, wie uns der Vizetitel letztes Jahr vorgespiegelt hat. Man resigniert in dem Sinne, dass wir die verfrühte Hoffnung und Erwartungshaltung nach der tollen letzten Saison ablegen. Es liegt nun einmal noch ein weiter Weg vor dem Kader, hier helfen das Infragestellen des erfolgten Umbruchs und revisionistische Forderungen nach dem Ende des Systems Magath nicht weiter.  Letzteres würde den Verein in ein absolutes Chaos stürzen, aus dem ich derzeit keinen Ausweg sähe, sowohl sportlich, als auch finanziell.

Die Erkenntnis aber, dass Schalke noch einen langen Marsch vor sich hat, muss nun endlich auch in der Köpfen der Spieler ankommen. Ausnahmslos bei allen Spielern.  „Hey, wir sind Vizemeister und spielen Champions League!“ muss ersetzt werden durch „Hey, wir stehen auf Platz 17 und müssen dort weg!“. Die Spieler müssen die gegenwärtige Situation endlich verstehen;  das Kerngeschäft ist für einen Club wie Schalke die Bundesliga, die Champions League lediglich ein (guter) Nebenerwerb. Dort kann man sich seinen Träumen von spielerischer Klasse hingeben, versuchen zu zaubern und schön zu spielen. Aber in der Bundesliga muss man, besonders in der derzeitigen Lage, voll  bei der Sache sein, sich konzentrieren, Pässe  spielen, die sicher ankommen, statt Traumpässe zu versuchen, die derzeit in 10% der Fälle ankommen und in 90% der Fälle gefährliche Gegenangriffe einleiten. Wenn man am 16er steht und schießen kann, dann sollte man es tun, anstatt den dritten am Ende erfolglosen Doppelpass durch den Strafraum zu spielen, um die gegnerische Viererkette als Fußballlegastheniker zu outen und seine eigene fußballerische Ãœberlegenheit zu präsentieren. Wenn man aus dem Tabellenkeller heraus will, dann muss man kämpfen, dann muss man Siege erzwingen, dem Gegner körperlich und einsatzmäßig überlegen sein. Dann muss man hellwach sein, um nicht durch schlampige Rückpässe aus vierzig Metern dem Gegner Tore zu schenken. Dann muss man in jeden Zweikampf mit 110% gehen. Niemand wäre den Spielern böse, würden sie sich am Wochenende auspumpen und dann unter der Woche in der CL eine schlechte Leistung abliefern –  so schön auch internationale Siege sind. Lieber den Schalke-Walzer gegen St. Pauli, als den Tango gegen Tel  Aviv!

Meine Lieblingsspiele in der letzten Saison waren das 3:3 gegen den HSV, das 2:2 gegen Bayer 04 und das 1:1 bei den Bayern. Allesamt keine Siege, allesamt Spiele in denen wir zurücklagen, aber – wie es in Kommentatorendeutsch heißt – zurückfighteten. In denen eine Mannschaft zu erkennen war, eine Mannschaft, die wollte, die sich den Arsch aufgerissen hat und sich nicht aufgeben hat. Eine Mannschaft, die die Ränge elektrisiert hat, ein Schalke, wie man es sich als Fan vorstellt.

Eine Mannschaft, aus der der Stern von den jungen Schalkern wie Matip, Moritz und Schmitz aufging. Die von der Presse hochgejubelt wurden, ihren ersten Besuch im Sportstudio hatten, schließlich im Stamm spielten. Die nicht ansatzweise an ihre Leistung anknüpfen können, deren Erfolg zu schnell und plötzlich kam und ihnen teilweise zu Kopfe stieg und zu Entscheidungen führte, wie als 18jähriger die weitere Förderung im DFB abzulehnen und fortan für Kamerun zu spielen, wo man lediglich ein paar Tage vor dem Spiel zum Team fliegt, keine wirkliche sportliche Förderung erfährt, aber dafür die Strapazen zweier Langstreckenflüge nebst Zeit-, Klima- und Kulturumstellung auf sich nimmt. Auch wenig förderlich für das Kerngeschäft Schalke 04, zumal dort nicht mehr im Stamm gesetzt.

Matip mache ich nicht als (Allein-)Schuldigen aus, steht er aber symbolisch für eine Entwicklung der Selbstüberschätzung einiger Spieler.  Dies ist generell noch nicht besonders gefährlich und schleift sich wieder ab, allerdings wird es gefährlich, wenn einige weitere Umstände hinzutreten: Mitspieler, die ihre eigene Leistung ähnlich überschätzen (Rakitic), Qualifikation für höhere Weihen (Champions League), Verpflichtung von Spielern internationaler Klaasse (Huntelaar, Raúl), Schönspielern (Jurado) und „Perspektivspielern“  – eigentlich: Ergänzungsspielern ohne Perspektive – (Baumjohann, Deac, Plestan, usw.), Verkauf von charakterstarken Leistungsträgern (Bordon, Rafinha), Misserfolge in der Liga, Erfolge in der Champions League. Dann setzt sich ein Teufelskreis in Bewegung. Die Spieler zeigen und sehen in der Champions League, was sie können. Das überzeugt sie wiederum davon, dass sie doch in der Liga erst recht besser als der Gegner sein müssten. Dass Schalke ein überlegenes Team hätte, was auf dem Papier ja auch häufig stimmt. Nur spielen wir in der Liga gegen einen überwiegenden Anteil von Vereinen, die seit langer Zeit zwischen Abstiegsbereich und gesichertem Mittelfeld pendeln. Diese Vereine wissen genau, dass sie gegen einen „Großen“ wie den FC Schalke spielerisch nicht mithalten können und setzen auf Kampf und unbedingten Einsatz.  Solange aber der S04 nicht eingespielt ist, Laufwege passen oder man seine Stürmer gar ohne sie zu sehen mit einem Pass (no-look) erreicht, kann man solche Mannschaften nicht spielerisch erledigen. In solchen Partien kann es nur über das Entgegenstellen von Kampf und Einsatz gehen, und schließlich zu hoffen, dass man den Gegner müde spielt und mit einer oder zwei Aktionen der Stars knackt. Das Duell Anspruch gegen Wirklichkeit haben wir bis jetzt sechsmal verloren.
Mein aktueller Lieblingsspieler beim FC Schalke heißt Christoph Metzelder. Metze hat schwach angefangen,  spielte unsicher und schlampig. Das zu konstatieren bedarf keines großen Sachverstandes. Er wurde von den Fans ausgepfiffen und zum Sündenbock abgestempelt, die Zecke ist schuld, schön einfach. Nur: er hat sich nach der Auszeit im Derby, die höchst wahrscheinlich einer vorgeschobenen Verletzung geschuldet war, kontinuierlich gesteigert, sowohl was Leistung, als auch Körpersprache angeht. Er beginnt das zu werden, was FM in ihm sieht: ein Führungsspieler. Neben der Leistung (Kicker-Durchschnitt vor dem Derby: 5,67 und danach bis jetzt: 3,5) zeigt er auch Willen und Kampf. Am Samstag gegen Bayer grätschte er binnen zehn Sekunden zwei Gegenspieler um, kassierte zurecht Gelb, aber das war Abstiegskampf, das war Sich-gegen-die-Niederlage-stemmen; da war er der Einzige, der nach dem Rückstand noch weiter gemacht hat, sich nicht ergeben hat. Der nach drei Alutreffern und dem bitteren Gegentor nicht resigniert hat. Der Charakter gezeigt hat und die Situation richtig einschätzt. Der offen von Abstiegskampf spricht. Der ein Vorbild für den Rest der Spieler sein sollte.

Ich bin mir sicher, dass die meisten Spieler immer noch der Meinung sind, dass Schalke allein aufgrund ihrer einzelnen überlegenen Fähigkeiten ganz automatisch unten wieder rauskommen werde. Nach unserem ersten Saisonsieg war ich davon auch noch überzeugt, jetzt nicht mehr. So einfach ist es nicht. Ohne eine kritische Reflexion der eigenen Leistungsbereitschaft und ohne das Ablegen der Selbstüberschätzung kommen wir da unten nicht heraus. Die Arbeit von Felix Magath muss derzeit also darin liegen, den Spielern die Situation klar zu machen und sie endlich Charakter zeigen zu lassen. Eine der fürchterlichsten Fußballfloskeln lautet: „Ãœber den Kampf zum Spiel kommen.“  Schalke versucht derzeit ohne Kampf direkt zum Spiel zu kommen – das klappt aber nicht. Die Schalker Spieler müssen den (Abstiegs-)Kampf endlich annehmen. Besonders ob der häufig prekären Leistung der Außenverteidigung, müssen die Schalker Mittelfeldspieler nach Ballverlusten im Aufbau oder generell bei gegnerischen Angriffen eine größere Anstrengung an den Tag legen, die Außenverteidiger zu unterstützen und zu entlasten. Meinetwegen können sie unter der Woche weiterhin schön spielen und in der gegnerischen Hälfte stehen bleiben. Wie wir in der Champions League abschneiden, tangiert mich peripherer denn je, auch wenn das Achtelfinale einen guten finanziellen Beitrag schon in Hinsicht auf das nächste Jahr bringen würde.

Aber wenn man am Wochenende weiterhin (nach einem Rückschlag zugegeben, den man dann aber selbst in einen klitschkoesken Niederschlag verwandelte) blutleer auftritt und nicht kämpft, wird sich auch auf den Rängen vermehrt Unmut regen. „Wir wollen euch kämpfen sehen!“ –  Niemals ist ein Schalker Team ausgepfiffen worden, das gekämpft und verloren hat. Manchmal ist der Gegner einfach zu stark, aber wir Schalker sind zufrieden, wenn wir sehen, dass unsere Jungs alles versucht haben, die Trikots voll Dreck sind und der Schweiß aus allen Poren rinnt. Dann kann die Mannschaft sich des Jubels unsererseits sicher sein! Umso mehr, wenn am Ende ein erkämpfter Sieg steht. Daraus würde die Mannschaft auch noch mehr als nur den Jubel der Fans mitnehmen: Teamgeist, Sicherheit im Zusammenspiel und vor allem Selbstvertrauen.

Denn „Teambuilding“ erreicht man nicht durch einen gemeinsamen Trinkabend. Die beste „Teambuilding“-Maßnahme derzeit wäre es, gemeinsam aus dem Tabellenkeller herauszukommen. Das würde die Spieler wirklich zusammenschweißen, untereinander und mit der großen kleinen Gruppe. Dass man nur als Mannschaft Großes erreichen kann, weiß man auf Schalke doch spätestens seit 1997.

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5 Kommentare zu “Walzer Statt Tango”

  1. Supercliveam 2. November 2010 um 19:10 1

    Hallo Bene,

    vielen Dank für Deinen tollen Artikel. Stimme Dir voll und ganz zu. Hatte meinen Kommentar zum Spiel am Samstag schon abgeschickt, bevor ich Deinen Artikel gelesen habe. Du hast es sehr schön auf den Punkt gebracht, allerdings mindert das meine Sorgen um den Verein nicht wirklich. Hoffentlich trifft FM die richtigen Entscheidungen und findet die passenden Worte, um die Mannschaft aufzurütteln. Ewig viel Zeit haben wir nicht.

    P.S.: Einzig das Wort „charakterstark“ in Zusammenhang mit Rafinha passt nicht. Da setze lieber Westermann, der war/ist charakterstark und ein Vorbild, allerdings war/ist Rafi der bessere und weniger zu ersetzende Fußballer.

    Glück auf!

  2. almighTiam 2. November 2010 um 19:24 2

    Auf den Punkt gebracht. Hast mit jedem Satz Recht.

  3. Beneam 2. November 2010 um 19:56 3

    Bei meiner Einschätzung von Rafi bezog ich mich dann auch eher auf seine kämpferischen Tugenden und seine Einsatzbereitschaft.

    Seinen Vorbildcharakter für Jugendspieler kann man durchaus in Zweifel ziehen. Er konnte schon ein sehr fieser Zeitgenosse auf dem Platz sein – für mich der gleiche Typ Spieler wie Gattuso, van Bommel oder Déde. Man liebt ihn, wenn er in der eigenen Mannschaft spielt. Ansonsten wünscht man ihm die Pest an den Hals…

  4. heinz03am 3. November 2010 um 16:00 4

    @bene
    das ist so zeimlich alles richtig, mindestens in der tendenz.
    zuerst : es ist ganz einfach, eine mannschaft ist man, wenn
    jeder mann schafft. sollten unsere spieler eigentlich wissen.
    das metze erst so schwach war , liegt mit an der einstellung
    der kleinen gruppe, die schäbig zu ihm war. da haben also unsere „eigenen“ leute , wie schon so oft , jedes gefühl für die
    realität vermissen lassen.er mußte sogar die hilfe eines mentaltrainers in anspruch nehmen. danke kleine gruppe.
    gegen bayer war er mit farfan der beste mann. mit ihm hatte magath recht, bei einigen anderen spielern muss man sich wundern. raul ist mir extrem symphatisch, kommt aber anscheinend mit dem spielsystem nicht zurecht. was ich teilweise verstehen kann, wenn man ihm spieler wie kluge,
    baumjohann, matip , rakitic zur seite stellt. sie haben jetzt den
    ganzen verein auf ihr niveau runtergezogen.
    rakitic war immer schon schwierig, matip als kameruner
    war gegen bayer unterirdisch. er ist wohl wirklich noch krank.
    konnte kaum laufen. auch wenn er jung ist, sobald er auf dem
    platz steht ist er teil der mannschaft. warum läßt magath sich
    nicht helfen von hollerbach oder eichkorn. einer muss doch sehen, das der spieler nicht fit ist. so muss er ihn wieder rausnehmen, was nicht gut ist für sein selbstvertrauen.
    huntelaar ist scheinbar die lust vergangen.
    so geht magaths strategie ins leere, wohl auch deshalb, weil
    die hochbezahlten angestellten auf dem platz nicht alles geben.
    mit neuer haben wir einen der besten keeper überhaupt.
    an ihm und mit ihm sollte sich die mannschaft orientieren und
    motivieren. sonst geht es gegen pauli wieder in die hose.
    glück auf

  5. holzboy2008am 3. November 2010 um 16:30 5

    Hallo Heinz !
    Guter Torwart der Neuer, der beste in D ,aber an ihm orietieren,ne ne ,er war einer der ersten „ICH BIN DANN MAL WEG“ und Sorry er ist so gut wie weg.Das einzige was bleibt sind wir Fans in allen Facetten,sche..ß egal ob gr0ße oder kleine Gruppe .(von mir aus auch viertklassig).Das hat Schalke immer ausgemacht und nicht die Gier nach irgendwas.Ich hab noch Bock auf Schalke ,die meisten Spieler glaub ich nicht.
    Glück auf!