Mehr Geld auf dem Feld, als wir Schulden

09. Nov. 2009 | 6 Kommentare

Philipp Lahm gibt ein Interview. Franz Beckenbauer betont erstaunlich glaubwürdig, dass er keine Ahnung von Nichts hat. Uli Hoeneß poltert und behauptet, Opfer einer Intrige eines Beraters zu sein, dem er zuvor die Festanstellung verwehrt habe. Luca Toni has left the building. Der DSF-Doppelpass begrüßt Felix Magath als Gast in der Runde, um danach 75 Minuten lang über einen Verein zu sprechen, der keinen Vertreter am Bierglas sitzen hat. Und irgendwo dazwischen wird auch Fußball gespielt. Bayern gegen Schalke hielt genau das, was man im Vorfeld erwarten durfte. Sogar das Ergebnis – Schalke holt als glücklichere von zwei Mannschaften mit dem 1:1 einen Punkt in der Allianz-Arena – war irgendwie vorhersehbar. Das beste Auswärtsteam der Liga entführte einen Zähler aus dem Reich des derzeit indisponierten Abonnement-Meisters. Und dennoch barg dieser Nachmittag in München natürlich auch wieder die eine Überraschung, für die Schalke und Felix Magath wahrscheinlich mittlerweile insgeheim von den Vertretern der 17 anderen Bundesligisten gehasst wird: Joel Matip. 18 Jahre jung und ein so unbeschriebenes Blatt, dass es sich gar nicht lohnt, ihn zu “Googeln”. Bis gestern. Seit 16.13 Uhr ist das freilich anders. Heute überschlagen sich die Medien und berichten kundig von Magaths neuem Juwel.

Viel wurde an diesem Wochenende von “Philosophien” gesprochen. Der FC Bayern habe keine, wurde von Lahm bemängelt. Schalke kann sich derzeit keine echte Philosophie leisten und setzt deshalb notgedrungen auf die Jugend. Bayern kaufte sich vor der Saison beispielsweise Anatoliy Tymoshchuk für kolportierte 11 Millionen Euro. Bayern kaufte sich Mario Gomez für 35 Millionen Euro. Und Bayern legte nach dem Start der Saison mit Arjen Robben noch einmal nach und geschätzte 25 Millionen Euro auf den Tisch. “Die haben mehr Geld auf dem Platz herumlaufen, als wir Schulden haben”, ist so ein Gedanke, der einem zwangsläufig in den Sinn kommt, verbunden mit der diebischen Freude, dass bei uns Leute wie Schmitz, Moritz und seit Samstag eben auch Joel Matip auf sich aufmerksam machen.

Machen wir uns nichts vor: Wenn Schalke vor der Saison die finanziellen Möglichkeiten gehabt hätte, würden Schmitz, Moritz und Matip nach wie vor in den niederen Klassen bzw. in der A-Jugend spielen. Das Jugendkonzept von Felix Magath ist keine Philosophie, sondern zuerst einmal eine pure Notwendigkeit. Doch so wie er es macht, hat man beinahe den Eindruck, man könne ihn für zwei Stunden an eine Bushaltestelle in Münster-Kinderhaus stellen und aus dem vorbeiflanierenden “Material” sucht er sich dann ein Team aus, das bei den Bayern bestehen kann. Ich reibe mir eigentlich seit Wochen nur noch die Augen und frage mich bange, wann ich aus diesem unglaublichen Traum aufwache. Schalke liefert derzeit das Gegenkonzept zum Bundesliga-Geschäft. Ausgerechnet Schalke! Jahrelang gab der Verein Abermillionen Euro für mittelmäßige Spieler aus. Und jetzt wo kein Geld mehr da ist, ist die Frage erlaubt, ob es denn eigentlich notwendig ist, sich defensive Mittelfeldspieler für 10+x Millionen Euro zu kaufen, wenn 18-jährige Gesamtschüler die übertragenen Aufgaben mindestens ebenso gut verrichten können.

In München begann Schalke selbstbewusst und engagiert. Man spürte, dass die Mannschaft die Verunsicherung der Bayern ausnutzen wollte. Breits nach drei Minuten bietet sich Kevin Kuranyi eine erstklassige Möglichkeit zum ersten Treffer, doch Hans-Jörg Butt verhindert den Bayern-GAU. Nach einer Viertelstunde haben beide Teams ihren Rhythmus gefunden. Im Falle von Schalke heißt dies: sicher stehen und auf die Kontermöglichkeit warten. Im Fall von Bayern ist der Rhythmus derzeit eher ein diffuses Wabern. Wo Ballbesitz eigentlich für Sicherheit sorgen sollte, führt es bei den Bayern dazu, dass noch ein Querpass gespielt wird, und noch einer, und noch einer, und noch einer. Irgendwann der weite Ball in die Spitze, Luca Toni fliegt schon mal vor, und das war’s dann auch. Umso ärgerlicher, dass den Bayern in ihrer schwächsten Phase des Spiels das 1:0 gelang. Ein dummer Ballverlust von Sanchez führt zu einem noch dümmeren Foul und einem total überflüssigen Freistoß aus dem Halbfeld. Der Ball fliegt hoch in den Strafraum, die Innenverteidigung ist einen Moment unaufmerksam, Kuranyi versucht zu retten und serviert van Buyten den Ball auf dem Silbertablett. Da war’s passiert.

Doch wenn die letzten Wochen der Schalker eines bewiesen haben, dann dass ein Rückstand nichts zu bedeuten hat. Kurz vor der Pause schlägt Schalke ebenso aus dem Nichts zurück, wie Bayern zuvor in Führung gegangen war. Auch diesmal war es ein weiter Freistoß aus dem Halbfeld, 15 Spieler springen im Getümmel hoch, Joel Matip hat das Glück, dass ihm der Ball auf den Kopf fällt und das 1:1 ist da! Zu diesem Zeitpunkt war es sogar ein verdientes Ergebnis.

Das änderte sich in den zweiten 45 Minuten. Bayern brachte Robben und damit ein belebendes Element. In der Folgezeit hätte sich Schalke nicht beschweren können, wenn den Bayern die neuerliche Führung gelungen wäre. Insbesondere als dann auch noch Rafinha angeschlagen das Feld verlassen musste, der Robbens Offensivbemühungen zumindest noch ansatzweise blocken konnte, war Schalke deutlich angezählt. Doch Magath weiß auch diesmal eine Lösung und bringt mit Mineiro den “alten Hasen”. Gemeinsam rettet sich Schalke als funktionierendes Kollektiv über die Ziellinie und hätte in der 82. Minute nach einem Konter vielleicht sogar das 1:2 erzielen können. Doch das wäre dann wohl wirklich zu viel des Guten gewesen. Mit dem Punkt in München kann Schalke auch so sehr gut leben. Aberwer weiß, was passiert wäre, wenn Schiedsrichter Florian Meyer (Remeber Pokalfinale 2005!) sich in der 55. Minute für eine durchaus berechtigte Rote Karte gegen Robben entschieden hätte? Dann wäre für das in der zweiten Halbzeit notgedrungen zu passive Schalke vielleicht sogar mehr drin gewesen… Naja, Schwamm drüber!

Das waren sie nun also, die “Spiele der Wahrheit”. Stuttgart, Hamburg, Leverkusen und Bayern liegen hinter Schalke. Sechs Punkte wurden geholt, kein mal ging man als Verlierer vom Feld, vor allem aber hat man sich bei aller spielerischen Limitiertheit immer sauteuer verkauft. Jetzt liegen zwei Wochen Pause vor uns und dann wird die Frage beantwortet, ob Schalke die sechs Zähler aus den letzten vier Spielen vergolden kann. Sowohl gegen Hannover als auch eine Woche später in Mönchengladbach geht Schalke nominell als Favorit in die Partie. Wie reif die Mannshaft wirklich ist, wird sich vor allem in diesen beiden Spielen gegen derzeit sehr unangenehme Gegner zeigen.

Die geschriebene Nachberichterstattung kommt diesmal von der “FAZ”. Bewegte Bilder gibt es ab Morgen Mittag im Video-Archiv von bundesliga.de.

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6 Kommentare zu “Mehr Geld auf dem Feld, als wir Schulden”

  1. heinz03am 9. November 2009 um 11:58 1

    magath macht uns wieder stolz. das ist unbezahlbar.
    klasse , schalke 04.
    was sich dieser sportsender denkt, ist unergründlich.
    da wird herr magath von schalke 04 eingeladen und dann
    wird ewig über die tiroler schwadroniert. ich hätte es verstanden,
    wenn er gegangen wäre. ob es das dsf glaubt oder nicht,
    17 andere vereine sind mit ihren lizenzspielerabreilungen in der
    1.liga. der vertreter von mainz hat recht,glaubt man etwa, nur dort
    kann man fussball spielen? dann sollen sie es erst mal zeigen.
    mit unabhängigem journalismus hat das nichts mehr zu tun.
    glückauf

  2. matthiaßam 9. November 2009 um 15:49 2

    …Schwamm drüber! Vor Monaten hätte eine solche Fehlentscheidung uns wieder Wochen geärgert. Tut es aber nun nicht. Wenn der Schiri sich auch noch vom Gelb-Verwarnten anmaulen lässt, bitte.
    Ich habe beim ZDF Kochstudio mit Manuel Neuer schon gedacht, warum ist denn der Manuel Neuer da und die müssen erstmal alles aus den ledernen Unterhosen herauskratzen. Den DSF Talk habe ich dann wohl zum Glück verpaßt. Weil das ärgert dann doch noch. Aber irgendwann auch hier: Schwamm drüber!
    GLÜCK AUF!

  3. Jochenam 9. November 2009 um 17:50 3

    Ich kann von einem verblüffend anderen Klima berichten, in dem wir Hamburger Schalkefans uns in jüngster Zeit befinden. Als S04-Anhänger stellen wir in unserer Fußballkneipe selbstverständlich nur eine (lautstarke) Minderheit, wurden bis dato eher freundlich belächelt. Seit Neuestem jedoch erhalten wir anerkennende Schulterklopfer, werden offen um den Trainer beneidet. Der Slogan „Wir sind Schalker, keiner mag uns, scheißegal“ ist von daher, ich muss es in aller Deutlichkeit sagen, definitiv passé! Letztes Wochenende kamen sogar erste Stimmen auf, man würde es begrüßen, wenn Schalke endlich Meister würde. Kann mich mal einer kneifen?

  4. Wadenbeißeram 9. November 2009 um 20:56 4

    Ich finde es ebenfalls sehr bemerkenswert, was die Truppe von Felix Magath momentan leistet. Spieler wie Farfan und Kuranyi kicken auf einmal wieder auf sehr hohem Niveau, die Jungspunde Moritz, Schmitz, Zambrano, Höwedes, Pliatsikas und seit Samstag auch Matip zeigen Woche um Woche begeisternden Fußball. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, zumal ich aus dem tiefsten Bayern stamme und in München geboren bin: Aber der Fußball, den der FC Schalke 04 momentan bietet, macht einfach nur Spaß!

  5. charakterstärkeam 9. November 2009 um 22:13 5

    halten wir es doch einfach wie felix im dsf. zurücklehen und geniessen.

  6. KönigsblauMSam 10. November 2009 um 20:15 6

    Was geht da ab auf Schalke? S04 mutiert zur Vorzeigemannschaft der Liga und ganz Fußballdeutschland reibt sich die Augen. Hier haben sich vier gefunden: der Trainer – die Spieler, der Verein und die Fans. Eine unglaubliche Geschichte nach so langer chaotischer Durststrecke.
    Magath wirkt als fußballerischer Vater auf die Jungprofis und lässt gleichzeitig die alten Hasen vor Ehrfurcht erstarren. Kein Aufmucken mehr, nur noch Disziplin und solidarisches Verhalten auf und neben dem Platz.
    Es wird Rückschläge geben – keine Frage. Aber der Weg zum Ziel ist voll eingeschlagen. Glück auf!