Mama, ich bin im Fernsehen!

22. Okt. 2010 | 8 Kommentare

In meinem mittlerweile 35 Lenze, Sommer und Herbste währenden Leben habe ich es nur selten zu größerer Popularität gebracht. Hier mal ein Zeitungs- oder Radiointerview in den münsterschen Lokalmedien als Schriftführer des hiesigen Schalke-Fanclubs, da mal ein paar mediale Erwähnungen, die mit meinem Beruf zusammenhängen. Beim Auswärtsspiel in Hamburg vor ein paar Jahren erhielt ich eine SMS von einem Kumpel, der sich das Spiel im Pay-TV anschaute, mit dem knappen Inhalt: „Gähn‘ doch nicht so!“ Ach ja, und ich war schon einmal auf einem Plattencover zu „sehen“: Auf Hubert von Goiserns Live-CD von der großartigen 1994er Europatournee bin ich der 17 von links in der siebten Reihe. Insbesondere die beiden letzten Erwähnungen machen sich immer ganz gut als Anekdoten beim geselligen Bierchen.

Jetzt gibt es aber auch Menschen, die unversehens zum kleinen Medienstar werden, ohne etwas dafür zu tun oder etwas daran ändern zu können. Nein, ich rede nicht von den „Bademantelträgern“ oder „Eisteetrinkern“, die in den Doku-Soaps der Privatsender das letzten Fitzelchen von Würde über die Bordkante werfen. Und ich spreche auch nicht von den Ãœberrumpelten einer Straßenumfrage, deren wirre Worte von Stefan Raab genüsslich seziert und zu Sommer-Party-Hits verwurstet werden. Ich rede von Menschen „wie du und ich“, die sich – anders als Doku-Soap-Darsteller oder Straßenbefragte – gar nicht bewusst sind, dass sie gerade aufgenommen werden.

Jeder kennt diese Einblendungen, die irgendwie auch den Charme der Sportschau ausmachen. Die erste Halbzeit ist vorbei, es folgen zwei bis drei „Shots“ von Zuschauern auf der Tribüne, dann startet die Zusammenfassung der zweiten Spielhälfte. Früher waren es zumeist ältere Herren, die eine Zigarette akrobatisch zwischen den Zahnlücken hin- und hertanzen ließen. Oder – in den ganz alten Sportschau-Ausgaben – Kriegsversehrte, die mit ihren schulterhohen Krücken ausgelassen über die Tribünen tanzten. In den 8oer-Jahren wurden dann dickbäuchige Kuttenträger populär, die dem TV-Zuschauer in den paar Sekunden zwischen der ersten und der zweiten Halbzeit ein paar stumme Flüche entgegen warfen. Und heute sind es – u.a. bei Weltmeisterschaften, wo das Bild von einer internationalen Regie kommt und die ARD nun wirklich nichts dafür kann – resche Mädels in Schweden-Bikinis oder Brasilien-Hot-Pants.

Vor ein paar Jahren erfuhr ich den Grund, warum das Fernsehen seit dem Beginn der TV-Ãœbertragungen von Fußballspielen immer auch den ungekrönten König der Tribüne sucht. Es handelt sich hierbei originär um „Trenner“. Der Sportschau-Reporter, der das Spiel als Zusammenfassung aus dem Ãœbertragungswagen in der Regel live kommentiert, hangelt sich anhand dieser Trenner durch sein eilig zusammengeschriebenes Manuskript. Er weiß: Erst eine Chance für die Heimmannschaft, dann zwei für das Auswärtsteam, dann der merkwürdige Typ mit der lustigen Kappe, dann das  Tor für das Heimteam, die Chance für die Gastmannschaft und dann die heiße Ische mit dem Fellkragen. Halbzeit. Puh! Je zeitnaher nach dem Abpfiff eine Zusammenfassung gesendet wird, je länger dieser Spielbericht dauert und je ähnlicher sich die Szenen auf dem Feld sehen, desto mehr „Trenner“ gibt es, die dem Reporter anzeigen, in welcher zeitlichen Phase der Partie er sich gerade befindet. Achte‘ mal darauf – es stimmt wirklich! Natürlich hat man mit der heutigen Aufzeichnungs- und Ãœbertragungstechnik sicherlich andere Möglichkeiten, dem Kommentator eine Hilfestellung zu geben, als mit „Trennern“, deren Ursprünge in den Anfangsjahren der Sportschau liegen. Aber ihre Funktion als „Zwischenschnitt“ und natürlich nicht zuletzt die Sehgewohnheiten des TV-Publikums machen die Nahaufnahme auf der Tribüne heute zu einem unverzichtbaren Bestandteil eines jeden Fußballspiels.

Angeregt durch diesen Beitrag im Blog vom Turnhallen-Phil habe ich aber mit der Grübelei angefangen. Phil erwähnt in seinem Beitrag einen Tribünen-Shot:

Zum Schluss noch eine Botschaft an die nette Dame mit der hellblauen Jacke, die in letzter Zeit immer mal wieder von Sky/Sat.1 mit der Kamera eingefangen wird: Lassen Sie sich davon bitte nicht verunsichern. Bleiben Sie so emotionsgeladen, das ist ganz toll. So ist das halt im Stadion. Auch wenn man mit seinen Reklamationen auch mal falsch liegt, egal! Schreien, toben, reklamieren! Man stelle sich mal vor, das würde niemand tun, was wäre denn das für ein Heimspiel?

Nun will es der Zufall, dass ich die angesprochene nette Dame seit vielen Jahren kenne. Anne ist generell in Schalker Kreisen keine Unbekannte und ich denke, man tut ihr nicht Unrecht, wenn man sie als „Extrem-Allesfahrerin“ bezeichnet. Zuletzt traf ich sie in Hoffenheim und stelle sie im netten Plausch ein paar Freunden vor. Anne ist der krasse Gegenentwurf zum dickbäuchigen Kuttenträger oder zum zahnlosen Zigaretten-Jongleur. Sie ist, platt gesagt, „stinknormal“. Doch aus irgendeinem Grund hat sie in dieser Saison die Aufmerksamkeit der Kameraleute auf sich gezogen. Seitdem vergeht kaum ein Spieltag, an dem sie nicht als „Zwischenschnitt“ zu sehen ist. Im Rahmen der Live-Ãœbertragung des Spiels gegen Hapoel Tel Aviv wurde ihr sogar ein eigener kleiner Beitrag gewidmet, wie mir mein Kumpel Benne, der Anne in Hoffenheim kennenlernte und CL-Spiel am Mittwoch im TV sah, glaubhaft versicherte.

Ich denke nicht, dass Anne aufgrund ihrer – ich nenne es mal – „Insel-Popularität“ nun irgendwelche Nachteile zu befürchten hat. Wahrscheinlich ist sie etwas angenervt, wenn sie immer wieder von Bekannten darauf angesprochen wird. Vielleicht nimmt sie es auch komplett mit Humor. Wie gesagt: Ich weiß es nicht. Doch im Folgenden soll es auch gar nicht mehr um Anne gehen, sondern ganz allgemein um das Phänomen der ungewollt in Bild gerückten Menschen.

Wir leben in einer Zeit, in der fast 250.000 Menschen Einspruch gegen Google Street View erheben und in der kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eindringlich davor gewarnt wird, in Sozialen Internet-Netzwerken zu viel Privates preiszugeben. Der Schutz der Privatsphäre ist manchmal schon fast zu einem hysterischen Hobby geworden. Ãœberall wird auf das „Recht am eigenen Bild“ gepocht. Selbst Gerichte beschäftigen sich damit, ob die Polizei einen Temposünder blitzen darf, oder ob sie damit einen erheblichen Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte begeht. Und eine Lehrerin, die einen Gruppenbild-Schnappschuss von der letzten Klassenfahrt einfach auf die Schul-Internetseite stellt, ohne zuvor die Erziehungsberechtigten jedes einzelnen Kindes um Erlaubnis gefragt zu haben, steht schon beinahe mit einem Bein im Gefängnis.

Doch dann geht man ins Fußballstadion oder zu einem anderen Großereignis. Dort ist alles anders. Das „Recht am eigenen Bild“ wird durch die AGB, der man beim Betreten der Veranstaltungsstätte still zustimmt, kurzerhand ausgehebelt. Auf Schalke gilt beispielsweise folgendes:

9.1. Der Ticketerwerber willigt darin ein, dass der Veranstalter im Rahmen der Veranstaltung, ohne zur Zahlung einer Vergütung verpflichtet zu sein, berechtigt ist, Bild- und Tonaufnahmen der Zuschauer zu erstellen und/oder durch Dritte erstellen zu lassen, diese zu vervielfältigen, zu senden und in jeglichen audiovisuellen Medien zu nutzen und/oder durch Dritte vervielfältigen, senden und nutzen zu lassen.
9.2. Die Rechte des Veranstalters aus Ziffer 9.1. gelten zeitlich unbeschränkt und weltweit.

Ein durchweg logischer und verständlicher AGB-Passus, der sich so überall findet, wo auch nur ansatzweise die Gefahr besteht, dass eine Kamera zugegen sein wird. Man stelle sich vor, jeder Zuschauer, der bei einer hohen Flanke im Bildhintergrund zu sehen ist, müsste vor einer Ausstrahlung erst noch um Einverständnis gebeten werden. Das wäre durchweg unpraktikabel.

Je länger ich jedoch über die „Trenner“, dickbäuchige Kuttenträger, zahnlose Schwarz-Weiß-Opis und heiße Ischen in Hot-Pants nachdenke, desto mehr frage ich mich, ob eine derartige AGB-Passage wirklich jeglichen Abtritt vom „Recht am eigenen Bild“ bedeuten kann. Dürfte mich ein TV-Team ungefragt mit einem Teleobjektiv während eines gesamten Spiels abfilmen und die Bilder auch ungefiltert versenden? Oder besteht nicht doch eine Sorgfaltspflicht seitens des übertragenen TV-Senders? Falls ja: Wo beginnt diese Sorgfaltspflicht und wo endet sie? Ist es noch OK, wenn ein TV-Sender im Rahmen eines Bayern-Heimspiels zur Oktoberfestzeit offensichtlich gezielt die Tribünen nach vollalkoholisiert eingeschlafenen Zuschauern absucht um die Bilder der fast von der Sitzschale fallenden Promille-Opfer mit Sätzen wie „Kein gutes Spiel, aber wenigstens dieser Fan ist voll dabei!“ zu garnieren?

Damit mich niemand falsch versteht: Ich will hier gar nicht den entsetzten Privatsspähren-Hysteriker geben, der nur nach einem Grund sucht, Gott und die Welt zu verklagen. Ich finde diese Leute sogar extrem unsympathisch. Auch mit dem moralisch-erhobenen Zeigefinger habe ich wenig bis gar nichts am Hut. Aber irgendwie interessiert’s mich dann doch.

Ich bin kein Jurist, aber so wie ich die Juristen kenne, könnte man mit dieser Thematik sicherlich ganze Bücherregale füllen. Gibt es beispielsweise eine „Ermessensgrenze“ für die TV-Sender? Oder eine zeitliche Grenze, frei nach dem Motto: „Alles unter einer Minute ungefragt in Nahaufnahme gefilmt ist OK“. Macht es einen Unterschied, ob ein „normaler“ Mensch gezeigt wird, oder eine Person –  als Beispiel nenne ich den allseits bekannten „Mainz-Clown“ -die es offensichtlich darauf anlegt, größere Aufmerksamkeit zu erregen? Wäre es theoretisch möglich, den AGB in besagtem Passus zu widersprechen, indem man ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ich untersage die Verwendung meines Bildes“ anzieht?

Es gibt sicherlich noch viele weitere Fragen, die man in diesem Zusammenhang aufwerfen kann. Ich belasse es aber bei den hier gestellten und verabschiede mich ins Wochenende. Allerdings nicht ohne der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass ich morgen auf Sky möglichst viele Jubelbilder von Anne sehen werde.

Abgelegt unter Fußball allgemein,Schalke

8 Kommentare zu “Mama, ich bin im Fernsehen!”

  1. David04am 22. Oktober 2010 um 16:13 1

    Sehr guter Artikel!
    Ich sehe es im Prinzip ähnlich: Es läßt sich wohl realistisch nicht verhindern, dass Leute, die sich im Hintergrund eines Fußballspiels im Stadion aufhalten mitgefilmt werden. Warum auch, ist ja normalerweise alles OK damit.
    Wenn aber bestimmte Fans wegen ihres vielleicht auffälligen Äußeren von quotengeilen TV-Sendern rausgepickt und öffentlich lächerlich gemacht werden, kann das nicht als Norm gelten. Ich bin selber WEIT davon entfernt Jurist zu sein (schon näher wäre ich da dem Typus „Besoffener, tätowierter Nordkurven-Asi“), aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man – wenn man wirklich ein Problem damit hat – nichts dagegen machen kann. Allerdings dürfte es dann in den meisten Fällen schon „zu spät“ sein.

  2. blogundweiss.deam 22. Oktober 2010 um 16:54 2

    Super Beitrag!
    Generell find ich es ja nicht schlimm, wenn man „mal“ gefilmt wird.
    Ich fand es nur unmöglich, dass die Anne da auch noch mit Untertitel „vorgeführt“ wurde.
    Die Kneipe, in der ich das Spiel geschaut hat, hat sich auf ihre Kosten großartig amüsiert. Und so wie ich das in einem Bildausschnitt gesehen habe, war sie über die ständigen Einblendungen auch nicht begeistert.
    Auf jeden Fall ist es gut zu wissen, dass sie davon genervt ist, wenn man sie darauf anspricht. Das wollte ich nämlich machen, wenn ich sie denn auch mal treffe.

    Glück Auf! Drei Punkte in Frankfurt! Gegen den Abstieg!

  3. Pepoam 22. Oktober 2010 um 16:56 3

    Anne als „normal“ zu titulieren finde ich fast entwürdigend.

  4. Matthiasam 22. Oktober 2010 um 17:01 4

    Auf jeden Fall ist es gut zu wissen, dass sie davon genervt ist, wenn man sie darauf anspricht.

    Stopp! Das habe ich nicht behauptet. Ich habe geschrieben, dass ich es mir vorstellen kann. Aber gesprochen habe ich darüber mit ihr auch nicht. Dummerweise habe ich seit meinem letzten Handywechsel ihre Telefonnummer verbaselt (Import und Export von Kontaktdaten klappt super …. nicht) und kann ihr jetzt noch nicht einmal eine SMS schicken.

  5. Löbbiam 22. Oktober 2010 um 20:16 5

    Hey Matthias,

    ich habe deinen Bericht mit großem Interesse gelesen und bin durchaus der Meinung, dass du dich mal bei der WAZ bewerben solltest.
    Was ein Peter Müller oder Konsorten da oft vom Stapel läßt, ist manchmal schwer zu ertragen.

    Es ist schon schön wenn man so gut schreiben kann. Aber weist du um was ich dich wirklich beneide ?

    Auf dem Cover von Hubert von Goisern, ist das geil !!!

    Löbbi

  6. Löbbiam 22. Oktober 2010 um 20:25 6

    PS.: Habe mal im Internet gesucht aber das Cover nicht gefunden.
    Hast du einen Link für mich ?

  7. Matthiasam 23. Oktober 2010 um 00:13 7

    @Löbbi: Das Cover ist hier. Aber – und so ist das mit den Bierchen-Anekdoten – es ist gar nicht das Vorderbild, sondern das Innencover. Wenn du das CD-Cover aufschlägst sieht man eine grobkörnige Aufnahme des Live-Konzerts von ganz, ganz, ganz hinten. Dort glaube ich mich erkannt zu haben und mache das auch an den Leuten fest, von denen ich meine, dass sie neben mir gestanden haben. Gerichtsprozesse um Bildrechte würde ich damit allerdings nicht gewinnen. Wie gesagt: eine nette abendliche Tresen-Anekdote, die sogar in Blog-Form funktioniert 😉

    (Das Konzert vor 16 Jahren war übrigens richtig geil. Mittlerweile ist HvG auch wieder von seiner nervigen „Weltmusik“-Schiene abgekommen und macht wieder einen auf Alpinkatzen. Mal kucken, ob ich ihn nicht nochmal live sehen werde.)

  8. Luchoam 23. Oktober 2010 um 00:43 8

    Sehr interessantes Thema!
    Die sympathische Dame wird wohl auch weiterhin auf Sky auftauchen, die scheinen sie „ausgeguckt“ zu haben.
    Ich bin auch kein Jurist, aber vielleicht solltest Du Deinen eigenen Bericht auch noch mal zu seinem Grundthema „Persönlichkeitsrechte“ kritisch gegenlesen.
    Immerhin gibst Du hier ja einige Informationen preis, die dem Fernsehgesicht jetzt zugeodnet werden können. Jetzt wissen wir plötzlich alle was über sie. Und angesichts des beschriebenen Handywechsels gehe ich nicht davon aus, dass Du Sie vorher um Erlaubnis gefragt hast…