WM-Tickets: Deutschland einig Jammerland!

15. Dez. 2005 | Ein Kommentar

Im Streit zwischen dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und dem WM-OK 2006 wird es heute ernst: Vor wenigen Minuten begann die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht Frankfurt. Bei der Verhandlung wird es unter anderem um die Ausnutzung eines Monopols gehen und darum, ob es statthaft ist, Geld für Leistungen anzunehmen, von denen man noch nicht weiß, ob man sie erbringen kann. Oder anders: Ist es OK, dass das OK den „Verlosungsteilnehmern“ im Moment ihrer „Bewerbung“ bereits den vollen Ticketpreis inklusive einer Bearbeitungsgebühr berechnet, bei einer aus Sicht des „Bewerbers“ aber nicht erfolgreich verlaufenen Bewerbung lediglich den Ticketpreis zurückerstattet, nicht aber die Bearbeitungsgebühr – und das ganze auch noch mit einer mehrmonatigen Verzögerung. Das Thema WM-Tickets ist aktuell in der öffentlichen Diskussion eine ganz heiße Kiste. Allerdings – so meine ganz persönliche, subjektive Meinung – ist die Diskussion nicht immer ganz ehrlich. Warum? Das versuche ich im Folgenden darzulegen.

Ich habe Tickets für die WM 2006. Ich habe Sie ganz anständig in der ersten Verlosungsrunde irgendwann im Sommer erstanden. Besser gesagt: Sie wurden mir zugeteilt. Damit bin ich innerhalb meines Bekanntenkreises so etwas ähnliches wie eine bunte Kuh. Das sollte ich zumindest sein, so wie um mich herum alle zetern und jammern. Doch immer häufiger werde ich gewahr, dass ich für meine WM-Tickets eher Mitleid denn Neid ernte.
Meine WM-Tickets lauteten bis zum vergangenen Freitag ganz nüchtern auf „Spiel Nr. 4, Dortmund“. Ich wusste bereits im Sommer, dass ich „Spiel Nr. 4“ live sehen werde. Und weil in jedem ja auch ein kleiner Angeber steckt, habe ich dies meinen zeternden und jammernden Freunden auch mitgeteilt. Die Reaktionen entsprachen allerdings nicht so ganz meinen Erwartungen: „Boah, hast du ein Glück! Was für’n Spiel ist das? Deutschland? Brasilien? Halbfinale? Sag‘ doch mal!“

Nein – Deutschland, Brasilien, Halbfinale – das alles wird es nicht sein. Das wusste ich nach dem Studium des Rahmenspielplans bereits im Moment meiner Ticketbewerbung um eben jenes „Spiel Nr. 4“. Um ehrlich zu sein: Das war sogar eine Grundvoraussetzung dafür, dass ich mich um „Spiel Nr. 4“ überhaupt beworben habe.

Wie das? Ganz einfach! Der Rahmenspielplan für die WM steht schon seit etwa eineinhalb Jahren fest. Was ebenfalls schon lange feststand war, dass Deutschland als Kopf der A-Gruppe antreten wird. Aus dieser bereits feststehenden, gesetzten, Einsortierung der deutschen Mannschaft in das Teilnehmerfeld ging auch hervor, wann und wo Deutschland in der Vorrunde antreten wird.

Ebenfalls (zumindest inoffiziell) schon lange fest stand, dass Brasilien als amtierender Weltmeister ebenfalls die Rolle eines Gruppenkopfes zugewiesen bekommt. Wer jetzt auch nur ein bisschen Ahnung davon hat, wie die Jungs von der FIFA ticken, konnte sich zudem ausmalen, dass die Spielplanmacher es vermeiden wollten, dass Gastgeber Deutschland bereits im Achtelfinale auf Weltmeister Brasilien treffen kann. Und wie vermeidet man das besonders effektiv? Indem man beide Mannschaft in zwei Gruppen positioniert, die vom Spielplan her „weit“ voneinander entfernt sind. Da ich ja nun wusste, dass Deutschland (um es wie beim Tennis zu sagen) in der „oberen Hälfte“ gesetzt wurde (Gruppe A) war es nur logisch davon auszugehen, dass Brasilien in die „untere Hälfte“ gesetzt wurde (also in die Gruppen E bis H – letztendlich wurde es dann Gruppe F).

Mit diesem Wissen ausgestattet durchforstete ich den Rahmen-Vorrundenspielplan und suchte mir genau die Spiele aus, die in mein Raster fielen, in denen also weder eine Spielpaarung mit „A1“ (Deutschland), noch eine mit „E1“, „F1“, „G1“ oder „H1“ (mit 25 prozentiger Sicherheit Brasilien) vorkam. Wem das jetzt zu hohe Spielplan-Mathematik war, hier noch einmal ganz einfach: Es war mir durchaus bewusst, dass ich weder Deutschland, noch Brasilien, noch ein Spiel über die Vorrunde hinaus sehen werde.

Natürlich fragte ich in der Wartezeit bis zur Verlosung auch herum, wer unter meinen Freunden denn was bestellt hat. Die Antworten sprachen Bände: „Eröffnungsspiel München“, „Finale Berlin“, „Teamserie Deutschland“ etc. Einige antworteten gar „Ich habe gar keine Tickets bestellt. Man bekommt doch eh keine!“ Stimmt, wenn man keine bestellt, bekommt man auch keine. Aber dann bitte auch nicht meckern, dass man keine bekommen hat.

Was mich besonders erstaunte: Kein einziger der von mir Befragten hat wirklich Tickets für die WM bestellt. Stattdessen haben alle Tickets für „Deutschland“, „das Halbfinale“ oder „das Finale“ bestellt. Ohne auf empirische Daten zurückgreifen zu können, behaupte ich jetzt mal ganz keck: Mindestens drei Viertel aller WM-Ticket-Besteller haben so gehandelt. Die Ergebnisse meiner Befragung und die Meldungen in den Medien, dass bereits wenige Tage nach Öffnung des Internet-Bestellportals die Spiele mit deutscher Beteiligung sowie das Finale weit über 100 Mal „überzeichnet“ waren, ließen mich denn auch in der langen Wartezeit bis zur Verlosung ruhig schlafen.

Am 22. April 2005 erhielt ich dann um 12:37 eine Mail:

Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass Ihnen im Rahmen der Auslosung zur Ticketverkaufsphase 1 anlässlich der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006 (TM) Einzeltickets für folgendes Spiel zugeteilt werden konnten:
2 Tickets für Spiel Nr. 4, am 10.06.2006, in Dortmund, Preiskategorie 4, Preis (Einzelpreis x Anzahl) 70,00 EUR

Insgesamt hatte ich mich um Tickets für drei Spiele beworben. Eines in Gelsenkirchen, eines in Köln und eines Dortmund. Ich war mir absolut sicher, dass ich mindestens für ein Spiel Karten erhalten werde. Letztendlich ist es dann das Match in Dortmund geworden. Logisch: Das größte Stadion der WM und außerdem ein Gruppenspiel (unattraktiv) ohne deutsche (unattraktiv!) oder brasilianische (unattraktiv!!) Beteiligung, darüber hinaus noch nicht einmal mit Beteiligung eines Gruppenkopfes (unattraktiv!!!). Leute: Das war doch klar, dass derartige Spiele nicht unbedingt der Renner im Vorverkauf werden und somit die Chancen auf eine erfolgreiche Ticketbewerbung steigen!

Seit der Auslosung am Freitag weiß ich nun auch, welches Spiel ich sehen werde. Die Paarung lautet „Trinidad & Tobago vs. Schweden“. In meinen Augen ein Superlos. Allemal besser als wenn ich mir auf dem Weg zu Stadion prügelnde polnische Hooligans gegen brandschatzende Engländer hätte antun müssen. Nee, nee – Trindidad gegen Schweden, ein Neuling gegen einen Geheimfavoriten, auf den Rängen Bikinigirls gegen blonde Skandinavierinnen – und ich mittendrin.

Am vergangenen Wochenende war die „WM-Auslosung“ selbstverständlich Thema in zahlreichen Gesprächen. Sobald ich dabei fallen ließ, dass ich Trinidad vs. Schweden in Dortmund sehen werde, erntete ich blankes, pures, schieres, endzeitlich angehauchtes Mitleid: „Du arme, arme Sau!“ war da noch das Netteste.

Ich arme, arme Sau? Jetzt schlägt’s aber dreizehn! Dieselben Leute, die mir seit Monaten in den Ohren hängen, dass die Welt so ungerecht ist, weil sie keine WM-Tickets bekommen haben, bemitleiden mich glücklichen Karten-Zugeteilten jetzt öffentlich! Einerseits „Plärr… Plärr… ich habe keine WM-Tickets bekommen. Alles ist so ungerecht. Den Beckenbauer sollte man Teeren und federn… Plärr“ und andererseits „Du arme Sau“. Da passt doch etwas nicht zusammen!

Jetzt, ja jetzt, sehen plötzlich alle ein, dass sie mit ihrer Taktik, ausschließlich Tickets für die „Sahnestückchen“ der WM zu bestellen, totale Scheiße gebaut haben. Wenn ich Karten für das Finale bestelle und dieses Finale letztendlich knapp 1000 Mal überzeichnet ist, dann stehen meine Chancen für eine erfolgreiche Ticketvergabe eben auch nur bei 1:1000. Und wenn mir nichts besseres einfällt, als „Teamserie Deutschland“ zu ordern, wohlwissend dass auch hier die Ãœberzeichnungsquote ins unendliche geht, worauf hoffe ich dann überhaupt? Da kann ich doch gleich die Lottozentrale verklagen, weil ich schon wieder nicht gewonnen habe.

„Ja, Matthias, aber beim Lotto weiß ich doch, dass ich eh keine Chance auf den Jackpot habe.“ Stimmt! Das wusste ich bei den WM-Tickets für die „Sahnestückchen“ aber auch. Ergo ist nicht die Welt ungerecht, der Beckenbauer kein Outlaw und die FIFA keine Verbrecherorganisation, sondern schlichtweg knapp zwei Drittel aller deutschen WM-Ticket-Besteller einfach doof. Manchmal sind Erklärungen ganz einfach. Das sind dann die, die am meisten weh tun.

Natürlich hatte ich letztendlich auch eine gehörige Portion Glück. Selbst meine „Bloß nicht Deutschland“-Taktik hätte schief gehen können. Aber die Chancen standen doch eindeutig besser, als bei der puren Beschränkung auf die WM-Highlights.

Genau deshalb habe ich Null Verständnis für das ganze Gezeter, dass gerade in unserer Gesellschaft abgeht. Wer „WM-Tickets“ sagt aber „Sahnestückchen“ meint hat es nicht anders verdient. Lasst euch das mal durch den Kopf gehen, ihr Jammerlappen landauf landab. Am besten am 10. Juni 2006 in der Zeit zwischen 18.00 Uhr und 19.45 Uhr. Dann sitze ich arme Sau nämlich im Westfalenstadion, trinke eine alkoholfreies Bier und nehme teil am größten Sportereignis der Welt.

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Ein Kommentar zu “WM-Tickets: Deutschland einig Jammerland!”

  1. Heinricham 10. September 2008 um 21:54 1

    Ein sehr ausgiebiger Artikel. Bin per Zufall drauf gestoßen und mich würde mal interessieren, wie es dann war? Hat dich die Stimmung dann noch eingeholt?
    Naja wie auch immer. Ich hatte leider kein Glück bei der Ticketzuteilung und will jetzt aber unbedignt welche für Südafrika. Verfolge seit einiger Zeit auch auf folgender Webseite das Geschehen:

    http://www.passion-southafrica.com/wm2010/wm-tickets-2010.html

    Finde ein ganz gute Seite für vorab Infos…aber mal schauen was die nächsten Moante bringen. Euch allen viel Erfolg, wenn es wieder heiß um die Tickets her geht!

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