Wenn Fußballer zu Fällen werden

17. Okt. 2007 | Keine Kommentare

Ohne Schalke jungen Spielmacher Mesut Özil läuft derzeit in der deutschen U21-Nationalmannschaft relativ wenig. In der Qualifikation zur EM-Endrunde 2009 in Schweden traf der Deutsche türkischer Abstammung in den letzten Monaten gleich mehrmals. Auch gestern steuerte er die ersten beiden Treffer zum 3:0-Sieg gegen Moldawien bei und sorgte damit dafür, dass die deutsche U21 als Tabellenführer ihrer Qualifikationsgruppe die anstehenden Aufgaben angehen kann. Doch um die fußballerische Leistung von Schalkes Nummer 17 soll es in diesem Beitrag gar nicht gehen. Vielmehr darum, dass er sich auf internationaler Ebene das deutsche Leibchen überstreift. Denn dass ist alles andere als selbstverständlich.

Schalkes Halil Altintop wuchs in Gelsenkirchen auf. Zusammen mit seinem Bruder Hamit, der heute sein Geld beim Bösen verdient. Beide besuchten deutsche Schulen, erlernten in Deutschland das Fußballspiel, machten in Deutschland ihre ersten Profischritte. Und völlig selbstverständlich folgten sie dem Ruf des türkischen Fußballverbandes, als dieser zu einem Länderspiel bat. Der DFB hatte einmal mehr gepennt als es darum ging, von ihm ausgebildete Talente auch zu binden. Beispiele wie die Altintops sind keine Seltenheit sondern die Regel. Yildiray Bastürk oder Nuri Sahin sind nur zwei weitere dieser Regelfälle.

Ich kann sie sogar verstehen, denn natürlich ist ihr familiäres Umfeld fest in der türkischen Kultur verwurzelt. Natürlich freut es die Mama, den Papa, die Brüder und bei den beiden Altintops ganz besonders den Onkel, wenn der eigene Familienspross für das Land der Urväter aufläuft, auch wenn er es selbst nur noch von sporadischen Urlaubsreisen kennt. Das Land der Hälfte meiner Urväter ist Österreich und – ganz ehrlich – ich würde auch für den ÖFB auflaufen, wenn Beppi Hickersberger mir nur die Chane gäbe. (In der Tat stehen meine Chancen auf eine Spätberufung bei den derzeitigen Leistungen des künftigen EM-Gastgebers gar nicht einmal schlecht.) Für welches Land ein Spieler seine Stiefel schnürt, ist alleinige Entscheidung des Spielers – und das sollte man allemal akzeptieren. Nichts desto trotz bin ich davon überzeugt, dass so mancher Jungprofi mit türkischem Background sicherlich auch für den DFB antreten würde, so man sich denn ausreichend um ihn bemühte.

Um Mesut Özil hat man sich vor allem in Person von DFB-Sportdirektor Matthias Sammer bemüht. Er ist die große Ausnahme. Er ist meines Wissens der erste „Türke“, der sich aktiv für eine Karriere in den deutschen Nationalmannschaften entschieden hat, sieht man mal vom „Halbtürken“ Mehmet Scholl ab, dessen türkischer Vater sich allerdings auch frühzeitig gen alter Heimat abgesetzt hatte. Das ist bemerkenswert, vor allem wenn man berücksichtigt, dass Özils Entscheidung von vielen Deutschtürken nicht verstanden und mit offener Ablehnung bis hin zu anonymen Hassbriefen belohnt wurde. Mesut Özil hätte es sich vielleicht leicht machen können. Ein Spiel für die Türkei („festspielen“), sich als neuer Nachwuchsnationalheld feiern lassen und dann wieder zurück nach Deutschland, wo man sich mit derartigen Entscheidungen längst abgefunden hat und dementsprechend emotionslos reagiert. Hat er aber nicht. Respekt!

Seit Anfang dieser Saison spielt mit Ivan Rakitic ein Schweizer kroatischer Abstammung auf Schalke. In Dortmund kickt sein Kumpel Mladen Petric. Beide wuchsen in der Schweiz auf und wurden dort fußballerisch ausgebildet. Beide galten als die neuen Hoffnungsträger der eidgenössischen Nationalmannschaft. Und beide gaben Anfang der Saison bekannt, dass sie für Kroatien spielen wollen. Auch diese Entscheidung muss und sollte man akzeptieren. Nebenbei hat sie auch gezeigt, dass nicht nur Türken Drohbriefe schreiben können. Die Schweizer haben das auch drauf.

Aber dann gab es da in jüngster Vergangenheit noch einen weiteren „Fall“, der die Gemüter erhitzte. Der Streit um Wolfsburgs Nachwuchsspieler Ashkan Dejagah. Der ist Staatsbürger des Iran, hat dort noch jede Menge Verwandte, und „weigerte sich aus persönlichen Gründen“ vor Wochenfrist, zum Spiel der deutschen U21, in der er längst ein Leistungsträger ist, nach Israel zu reisen. Und schon ging es los. Die Bildzeitung wetterte, Politiker der Hinterbänke wetterten mit. Der Zentralrat der deutschen Juden wetterte. Letztendlich wetterte jeder. Allgemeiner Konsens: Wenn dummerweise schon die Prügelstrafe abgeschafft ist, dann sollte Dejagah zumindest ausgewiesen werden. Auf keinen Fall aber dürfe er jemals wieder ein deutsches Nationaltrikot besudeln, dieser Antisemit, dieser Duzfreund des „Irren von Teheran“.

Selbst Wolfgang Schäuble unterbrach kurzfristig seinen Feldzug zur Vorratsdatenspeicherung und meldete sich höchstwichtig zu Wort. „Wenn jemand Nationalspieler ist, sollte er nicht aus politischen Gründen sagen, in dem einen Land spiele ich und in dem anderen nicht. Es muss ja keiner in der Nationalmannschaft spielen.“ (Quelle) Schäubles Parteifreund, CDU-Generalsekretär Roland Profalla, begab sich ebenfalls auf übelstes Stammtischniveau, als er sich mit folgenden Worten an die Öffentlichkeit wandte: „Wer Deutschland im Nationaldress vertritt, ob gebürtiger Deutscher oder Zugewanderter, muss sich zu unserer durch Geschichte und Kultur geprägten Gemeinschaft bekennen. Wer dies aus persönlichen politischen Gründen nicht will, muss das Trikot der Nationalmannschaft abgeben.“ (Quelle) (Ich empfinde übrigens Profallas Kunstgriff mit den „persönlichen politischen Gründen“ als aberwitzig…) Und wie reagierte Deutschlands oberster Fußballchef Theo Zwanziger? Ähnlich dämlich! „Heute bin ich Iraner, morgen Deutscher, wie es mir passt, das wird nicht gehen“, schrieb er Dejagah ins Stammbuch.

Das alles ist jetzt eine Woche her. Die Sau wurde gründlich durchs Dorf getrieben, nun haben sich die Wogen geglättet. Die Faktenlage bleibt indes die alte. Ashkan Dejagah ist Iraner! Das wird er wahrscheinlich auch bis zum Ende seines Lebens bleiben, denn der Iran erlaubt es schlichtweg nicht, dass seine Staatsbürger sich „davonstehlen“ und verweigert die Ausbürgerung. Iraner sind dementsprechend eine der wenigen Gruppen in Deutschland, denen eine „doppelte Staatsbürgerschaft“ zuerkannt wird, da sie ihre iranische Nationalität formal nicht abgeben können. Vielleicht hätte sich Theo Zwanziger vor seinem „Heute Deutscher, morgen Iraner, übermorgen wieder Deutscher“-Geschwafel diesbezüglich einmal schlau machen sollen.

Und was waren nun die „persönlichen Gründe“, die Dejagah davon abhielten, nach Israel zu reisen und die ihm kurzerhand als „politische Gründe“ ausgelegt wurden? Auch darüber kann ich nur spekulieren, da ich Ashkan Dejagah nicht persönlich kenne und ebenso wenig in seinen Kopf schauen kann. Fakt ist aber, dass er mit einem israelischen Einreisestempel im Pass arge Schwierigkeiten bekommen hätte, jemals wieder einen Fuß auf iranischen Boden zu setzen um seine Familie zu besuchen. Spekulation – wenngleich eine mit konkretem Hintergrund – ist ebenfalls, dass seiner Familie im Iran Nachteile aus der Reise des Familiensprosses nach Israel entstanden wären.

Heute verkünden die Medien, dass Dejagah nicht aus der U21-Nationalmannschaft geworfen wird. „Er hat uns gegenüber glaubhaft versichert, dass es ihm aufgrund seiner iranischen Herkunft ausschließlich um das Wohl seiner Familie und Angehörigen ging“, sagt Theo Zwanziger urplötzlich und auch, dass die Absage keine rassistischen oder antisemitischen Hintergründe gehabt habe. Ende gut, alles gut?

Vielleicht sollte uns allen der „Fall Dejagah“ etwas mehr zu denken geben. Vielleicht sollten wir Spieler mit Migrationshintergrund künftig besser verstehen wenn sie sich dafür entscheiden, nicht für Deutschland zu spielen. An Ashkan Dejagahs Stelle hätte ich nämlich nach all den beleidigenden, diffamierenden und unqualifizierten Äußerungen von Medien, Politik und Sportfunktionärstum keine allzu große Lust mehr auf das Adlertrikot.

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