EM-Tagebuch: Endlich auf der Fanmeile!

09. Jun. 2008 | Ein Kommentar

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Die EM 2008 hat nun endlich richtig begonnen. Für Österreich, das gestern seine ersten beiden Spiele erlebte, für das Team von Beppi Hikckersberger, das gestern unglücklich seiner Anti-Favoritenrolle gerecht wurde, für die deutsche Nationalmannschaft, die Polen in einem über weite Teile souverän geführten Spiel mit 2:0 schlug, für Klagenfurt, das gestern erstmals Austragungsort eines EM-Spieles war und natürlich auch für mich. Gegen Mittag machte ich mich zusammen mit meinen Eltern aus der kärnterischen Provinz bei Hermagor auf den Weg in die Landeshauptstadt Klagenfurt. 87 Kilometer sind es exakt bis in die Lindwurm-Stadt, locker zu schaffen in 50 Autominuten. Gegen 14 Uhr hatten wir die „Fanzone“ am „Neuen Platz“ im Zentrum Klagenfurts erreicht.

Obwohl Klagenfurt die Landeshauptstadt von Kärnten ist, ist es doch ein recht überschaubares Örtchen. Geographish eingeengt zwischen Wörthersee und Bergen, hatte die Stadt mit ihren zahlreichen Renaissancebauten im Laufe ihrer Entstehung keine großartigen Möglichkeiten zur flächenmäßigen Ausdehnung. Dementsprechend gedrängt geht es in der Innenstadt zu, wo selbst die Hauptstraßen vergleichsweise enge Gassen sind. Für öffentliche Parkplätze war da natürlich kein Platz mehr, weshalb Klagenfurt seit je her zahleiche Park-and-Ride-Plätze vor den Stadttoren vorhält. Für die EM ist das natürlich ideal, denn so erspart man sich die letzten paar Kilometer Stop-and-Go, steigt stattdessen in einen kostenlosen Shuttle-Bus und steht zehn Minuten später mitten auf der Fanmeile.

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Die war bereits zur frühen Stunde gut gefüllt und fest in deutsch-polnischer Hand. Als solche erkenntliche Österreicher und Kroaten trafen eher tröpfelnd ein und ließen sich von dem unterhalten, was die Hauptakteure des Tages veranstalteten. Und hier – das muss sich ehrlich zugeben – waren die Polen endeutig lauter, kreativer, farbenfroher, ausgelassener – und besoffener. Die deutschen Schlachtenbmmler hielten sich zunächst, obwohl zahlenmäßig leicht überlegen, deutlich zurück und stärkten sich an den zahlreichen Imbiss- und Getränkeständen, die sich an die abgesperrte Fanzone in der „10. Oktober-Straße“ und der „Karfreitstraße“ dicht an dicht drängten.

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Wie bei derartigen Veranstaltungen üblich, waren die Preise recht gesalzen. Der halbe Liter halbherzig gezapftes Bier für 3,50 Euro bis 4 Euro, die Bratwurst ab 3 Euro aufwärts. Allerdings gab es in der Innenstadt von Klagenfurt reichlich alternative Möglichkeiten, sich mit fester und flüssiger Nahrung zu Supermarktpreisen einzudecken, da die Landesregierung kurzerhand einen verkaufsoffenen Sonntag ausgerufen hatte.

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Was direkt auffiel war die doch sehr starke Polizeipräsenz. Für Klagenfurt sind augenscheinlich hauptsächlich Polizisten aus Nordrhein-Westfalen zuständig. Mannschaftswagen aus Köln, Bonn, Düsseldorf und Bochum ließen fast den Eindruck aufkommen, man befände sich bei einem deutschen Bundesligaspiel. Auf fünf deutsche Polizisten kam vielleicht ein Ordnungshüter aus Kärnten. Die einheimischen Ordnungskäfte konzentrierte sich zudem eher darauf, den wenigen Verkehr in der weiträumig abgesperrten Innenstadt zu regeln. Alles weitere – Fanbeobachtung, Präsenz zeigen, deeskalierendes Eingreifen etc. – war Aufgabe der eindeutig in solchen Dingen erfahreneren Deutschen.

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Deutschland gegen Polen – das stinkt natürlich förmlich nach Ausschreitungen. Nicht umsonst war das Spiel im Vorfeld mit der höchsten Risikostufe bedacht worden. Wirklich viel passiert ist aber nichts. Bereits am frühen Vormittag hatte die Polizei direkt mal knapp 150 deutsche Hools, die rechtsradikale Parolen skandierend durch die Stadt gezogen waren, eingesackt. Damit war das größte Gewaltpotenzial schon einmal gebannt, danach gab es eigentlich kaum noch brenzlige Situationen. Zumal man mit den Polen ziemlich gut feiern kann. Ehrlich! Die sind echt lustig!

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Gegen 17 Uhr strebte der große Pulk dem Public-Viewing-Gelände auf dem „Neuen Platz“ entgegen. Der „Neue Platz“ ist das Zentrum von Klagenfurt und gleichzeitig Standort der Lindwurm-Statue. Der Lindwurm ist ein drachenartiges Wesen, das der Legende nach von irgendeinem Kasper in irgendeiner Zeit aus irgendeinem Anlass zu Strecke gebracht wurde. Heute ist er das Wahrzeichen von Klagenfurt und als Fotomotiv sicherlich ebenso beliebt wie anderswo der Eiffelturm und die Freiheitstatue. Für die Dauer der EM hat die Stadtverwaltung dem Lindwurm einen großen Plexiglaskasten als Schutz spendiert. Durchaus sinnvoll, denn im Laufe der Jahrhunderte wurde die Statue bereits mehrmals durch übermütige Kletterer beschädigt. In Klagenfurt ist man aus dem Schaden klug geworden.

Mit Österreich vs. Kroatien stand das erste Spiel des Tages auf dem Programm. Die Live-Ãœbertragung aus Wien lockte tausende Menschen in die Fanzone. Der Andrang war derart groß, dass die Zone 20 Minuten nach dem Anpfiff des Spiels überfüllt war und geschlossen werden musste. Ãœberhaupt scheinen selbst die optimistischsten EM-Planer nicht mit einem derartigen Andrang gerechnet zu haben. In Spitzenzeiten sollen es annähernd 70.000 Fans gewesen sein, die sich in der kleinen Innenstadt von Klagenfurt tummelten. Beachtlich wenn man bedenkt, dass Klagenfurt nur rund 95.000 Einwohner hat – und darin enthalten sind bereits die zahlreichen Vororte vor den Toren der eigentlichen Stadt.

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Ich hatte Glück und in der Fanzone einen sehr guten Platz erwischt, direkt neben den Absperrungen eines gläsernen Studios des ORF. So kam ich nicht nur in den Genuss eines „Privat-Wellenbrechers“, sondern konnte mit einem Auge auch verfolgen, wie die TV- und Radioreporter des österreichischen und schweizerischen Rundfunks im Minutentakt abwechselnd live auf Sendung gingen und aus der Fanzone berichteten. An das ORF-Areal schloss sich auch direkt der VIP-Bereich an, so dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich auch der Landeshauptmann (=Ministerpräsident) von Kärnten zeigte. In der Halbzeit des Österreich-Spiels war es dann soweit. Jörg Haider, ein begnadeter Selbstdarsteller, hielt Hof, schüttelte die Hände derer, die sie nicht schnell genug wegziehen konnten und lächelte in die Kameraobjektive (siehe Foto oben). Nun muss ich allerdings einwerfen, dass Haider nicht der Nazi ist, als der er in Deutschland zeitweise beschrieben wird. Er macht in Kärnten seit Jahren gute Arbeit und hat sich von seinen radikalen Anfängen mittlerweile ein gutes Stückweit entfernt. Haider ist stattdessen ein Populist allererster Güte, der ganz gerne mal in die rechtere von zwei Schubladen der Phrasen greift. Mich erinnert sein Auftreten seit je er an das, das seinerzeit in Deutschland ein Jürgen Möllemann an den Tag legte.

Die Stimmung während der Österreich-Spiels war nicht sonderlich überragend, was vor allem daran lag, dass die Pessimisten unter den Austria-Anhängern sich sehr früh bestätigt sahen. Nach vier Minuten und einer saudämlichen Abwehraktion zeigt der Schiedsrichter auf den Elfmeterpunkt, die Kroaten verwandeln sicher zum 1:0 und diktieren daraufhin fast die gesamte erste Hälfte. In der zweiten Halzeit sah man dann allerdings, dass auch die Truppe von Slaven Bilic nur mit Wasser kocht und dass das Gastgeberland Österreich alles andere als Laufkundschaft ist, die man mal eben mit 5:0 weghauen kann. Gereicht hat es letztendlich aber trotz großen Kampfes nicht mehr. Österreich hat wie erwartet sein Auftaktspiel verloren. Die Stimmung auf dem „Neuen Platz“ war dementsprechend ein wenig gedrückt.

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Dann der erste Auftritt der Deutschen. Und mit einem Mal kam auch echte Stadionatmosphäre auf. Die Österreicher, die sich eigentlich schon auf den Heimweg machen wollten, hielten inne und betrachteten das Schauspiel, das von Deutschen und Polen veranstaltet wurde. Vielleicht, hoffentlich sogar, haben sie dabei etwas gelernt, dann klappt es beim nächsten Mal auch mit Stimmung beim eigenen Public Viewing.

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Zum Spiel der Deutschen will ich nicht so viel schreiben – es hat wahrscheinlich sowieso jeder gesehen. Nach vier Minuten muss Gomez eigentlich das 1:0 machen, ist aber zu dämlich, den Ball aus vier Metern über die Linie zu drücken. Nach 20 Minuten und einer echt starken Anfangsphase gelingt Podolski das 1:0, kurz darauf ist es wieder der schwache Gomez, der eine 100%ige Chance auslässt. Als Polen in der zweiten Halbzeit besser wird und die Kontrolle des Spiels an sich reißt, scheitert zunächst der zwischenzeitlich erschreckend unauffällige Ballack mit einem satten Schuss aus 14 Metern am Keeper der Polen, kurz darauf hämmert Podolski die Kugel aber nach einem Abpraller volley in den Winkel. 2:0 gewonnen – ein Auftakt nach Maß und das Ende einer 12 Jahre währenden Durststrecke bei Europameisterschaften. So kann es weiter gehen!

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Direkt nach dem 2:0 drohte die Lage auf dem „Neuen Platz“ noch einmal ganz kurz zu eskalieren. Anscheindend vom deutschen Torjubel provoziert meinten einige polnische Fans wohl Stunk vor der Videowand machen zu müssen. Innerhalb von Sekunden war die aufkommende Randale durch das professionelle Eingreifen einer deutschen Hundertschaft aber auch schon wieder im Keim erstickt.

Nach dem Abpfiff ging es für mich schnell wieder nach Hause. Einen ganzen Tag lang stehen geht dann doch ganz schön in Rücken und Beine. Wenigstens hat es sich gelohnt. Ein toller Tag, ein schönes Spiel, zahllose Impressionen – spätestens am Donnerstag sieht Klagenfurt mich wieder, wenn ich im Wörtherseestadion das Match der deutschen Nationalmannschaft gegen Kroatien verfolgen kann.

Und dann trifft heute abend ja auch die achtköpfige Fantruppe aus Deutschland ein, der ich in den kommenden Tagen ein wenig meine zweite Heimat in den Kärntner Bergen präsentieren möchte. Schade dass die Jungs erst so spät ankommen, sonst hätte ich sie mir direkt gegriffen und wir wären ins knapp 30 Kilometer entfernte italienische Tarvisio gefahren, um uns dort den ersten Auftritt der „Azzuri“ inmitten von italienischen Fans anzusehen.

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Ein Kommentar zu “EM-Tagebuch: Endlich auf der Fanmeile!”

  1. Julianam 9. Juni 2008 um 16:36 1

    Na dann mal viel Spass im Stadion am Donnerstag! Wird hoffentlich auch wieder gut von Dir dokumentiert. Die Fotos sind gut geworden. 😉