„Uchidas Mentalität wird Schalke helfen“

02. Dez. 2010 | 25 Kommentare

Zum Finale der Japan-Woche auf schalkefan.de gibt es ein paar brandheiße Insider-Tipps für einkaufsfreudige Bundesligatrainer und Manager. Oder ist am Ende doch nur alles die Finte eines gewieften Spielervermittlers? Wer weiß… Yumiko erklärt außerdem, warum Atsuto Uchida trotz einiger Startschwierigkeiten in der Bundesliga für japanische Fußballfans nach wie vor ein Idol ist und wieso er Anfangs Angst vor den Schalker Fans hatte. Und sie macht uns allen in sportlich schweren Zeiten Mut. Zu guter Letzt gehen wir der Frage nach, ob sich die J-League als Talentschmiede für den europäischen Spitzenfußball eignet oder ob sie diese Funktion vielleicht schon längst inne hat.


Atsuto Uchida ist das Bindeglied zwischen Japan und Schalke und er ist letztendlich auch der Aufhänger unseres Interviews. Er spielt jetzt seit fast einer Halbserie auf Schalke, doch wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht viel über ihn.

Uchida verfügt über ein supergroßes Talent – so sehe ich das. Es ist außerordentlich, dass ein Spieler, der gerade erst seine fußballerische Ausbildung abgeschlossen hat, vom ersten Spieltag an in der J-League spielt. OK, in einem kleinen Verein kann das vielleicht vorkommen. Aber Uchida spielte bei Kashima und das ist hier in Japan ein genau so großer Verein wie bei euch Bayern oder Schalke! Bei Kashima gibt es viele sehr gute Spieler. Und dann kommt ein 17-jähriger und verdient sich sofort einen Stammplatz… Wir Fußball-Fans in Japan waren alle überrascht!

Doch warum konnte Uchida bei diesen Voraussetzungen noch nicht in der Bundesliga überzeugen?

Ich weiß, dass sich viele Schalker über die Verpflichtung von Uchida beklagen. Aber ich bin immer noch überzeugt davon, dass er in der Zukunft mit seiner Erfahrung dabei helfen wird, dass Schalke irgendwann Meister werden kann. Die J-League ist ebenso wie die Bundesliga eine in sich sehr ausgeglichene Liga. Während Uchida in Kashima spielte, ist der Verein drei Mal Meister und einmal Pokalsieger geworden. Uchida mag zwar noch jung sein, aber er bringt eine extrem starke Erfolgsmentalität mit. Er weiß einfach, was zu tun ist, wenn sich die Mannschaft in einer schweren Situation befindet. Seine defensiven Leistungen und Fähigkeiten sind derzeit sicherlich nicht so gut, wie ihr es in der Bundesliga erwartet. Dafür müsst ihr aber wissen, dass die Abwehr generell das Problem im japanischen Fußball ist. Es gibt zu wenig Zweikämpfe – und wenn es dann doch einmal einen gibt, pfeifen die Schiedsrichter viel zu schnell, sobald ein Spieler am Boden liegt. Und jetzt sag‘ du mir, wie man bei diesen Voraussetzungen ein guter Abwehrspieler werden soll?

Das hört sich aber fast so an, als ob selbst du Uchida keine Chance mehr einräumst?

Nein, ganz im Gegenteil! Uchida hat sich in der Saison von Spiel zu Spiel weiterentwickelt, oder etwa nicht? In einem Interview mit einer japanischen Zeitschrift hat er neulich gesagt, dass er mittlerweile die Unterschiede zwischen der deutschen und der japanischen Verteidigungs-Kultur erkannt hat. Er hat sich fest vorgenommen, den deutschen Weg zu lernen und wird das auch schaffen.

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Atsuto Uchida im Trikot der Kashima Antlers. Als 17-jähriger setzte er sich beim japanischen Top-Club durch und fand den Weg ins Antlers-Vereinsmuseum.

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Neben Uchida spielen noch weitere Japaner in der Bundesliga: Hasebe in Wolfsburg, Yano in Freiburg und natürlich Kagawa in Dortmund. Wie stehen die japanischen Fußballfans dazu, dass ihre Spieler ins Ausland wechseln?

Man hat gemischte Gefühle. Natürlich: Wenn einer unserer Spieler ins Ausland wechselt, ist das ein großer Schlag für die Mannschaft. Das macht uns schon traurig. Auf der anderen Seite sind wir aber auch stolz auf jeden unserer Spieler, der im Ausland spielt. Meiner Meinung nach müssen die guten Spieler aus Japan sogar ins Ausland wechseln, um sich dort weiterzuentwickeln. Denn gleichzeitig erhält dadurch der Nachwuchs in der J-League mehr Chancen. Aber es gibt auch ein echtes Problem durch die Wechsel ins Ausland: Viele Leute haben bei uns keinen Lieblingsverein, sondern gehen nur deshalb ins Stadion, um ihre Lieblingsspieler zu sehen. Wenn die J-League in Zukunft noch mehr Fans anziehen möchte, muss dies auch über bekannte und beliebte Spieler geschehen, die nicht ins Ausland wechseln.

Shinji Kagawa spielt in Dortmund eine tolle Saison und der BVB wird  dafür gelobt, dass man einen Spieler aus der zweiten japanischen Liga geholt hat, der direkt in der Bundesliga Fuß fassen konnte. Wäre er ohne den BVB in der J2 versauert?

Shinji Kagawa war in Japan sicherlich nicht so bekannt wie Uchida. Das lag daran, weil er in der zweiten Liga gespielt hat, während Uchida bei Kashima schon große Erfolge feierte. Aber Kagawa war natürlich auch kein Unbekannter bei uns. Er galt als einer der besten Nachwuchsspieler im japanischen Fußball. Es gab gleich mehrere Vereine sowohl aus der japanischen ersten Liga als auch aus dem Ausland, die ihn verpflichten wollten.

Wenn japanische Spieler, die in der Bundesliga spielen, Interviews in euren Medien geben: was erzählen sie dann über Deutschland?

Atsuto Uchida hat beispielsweise neulich erzählt, dass auf ihn die Schalker Fans am Anfang etwas einschüchternd wirkten, weil es so viele sind und sie so gefährlich aussehen. Aber er sagt auch, dass die Schalker Fans Fußballfachleute sind. Er fühlt, dass die Schalker nicht nur ihren Verein, sondern den Fußball ganz allgemein lieben. Außerdem sagt Uchida, dass das japanische Bild von den Menschen in Deutschland falsch sei. Deutsche werden bei uns immer als besonders ernst beschrieben. Uchida berichtet uns aber auch von Deutschen, die teilweise sogar schlampig sind und „easy-going“ leben. Uchida sagt selbst, dass er nicht immer perfekt sei. Deshalb kann er sich mit den „Easy-going“-Deutschen identifizieren. Kurz gesagt: Er fühlt sich bei euch wohl!

Meinst du, dass es in Zukunft noch weitere Spieler geben wird, die von Japan aus den Sprung in die Bundesliga oder in eine andere europäische Top-Liga schaffen werden? Hast du vielleicht sogar einen „Geheimtipp“ für uns?

Es gibt in Japan einige Spieler, die darauf hoffen, in die Bundesliga zu wechseln. Wenn du einem Geheimtipp willst, schau‘ dir diese Seite an. Sobald dort ein neuer japanischer Spieler auftaucht, wird er sicherlich bald in der Bundesliga spielen. Aber nein – das war natürlich nur ein Scherz. Doch der deutsche Spielerberater Thomas Kroth kommt wirklich oft nach Japan, um hier Spieler zu beobachten. Er kennt sich im japanischen Fußball aus. In einem Interview mit einer Zeitschrift in Japan hat er gesagt, dass für ihn das Alter von 24 Jahren die Grenze darstellt, bis wann ein Spieler ins Ausland wechseln kann. Er nannte ganz konkret die folgenden Spieler, die er in Zukunft in der Bundesliga erwartet:  Nationalspieler Mu Kanasaki von Nagoya Grampus,  U19-Nationalspieler Hiroyuki Furuta vom Zweitligisten Consadore Sapporo, Nationalspieler Michihiro Yasuda von Gamba Osaka sowie die Jugendnationalspieler Toshiyuki Takagi und Yoshiaki Takagi. Die beiden Brüder spielen derzeit beim Zweitligisten Tokyo Verdy. Doch wer weiß: Vielleicht war das auch nur Taktik von Kroth und in Wahrheit liegt in seiner Schublade längst eine Liste mit ganz anderen Spielern.

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Nicht nur Uchida hat seinen Platz im Antlers-Vereinsmuseum: Der Club hat in den letzten eine ganze Reihe an Titeln und Trophäen gewonnen.

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Als die J-League startete, spielten einige deutsche Spieler in Japan. Guido Buchwald, Pierre Littbarksi und Michael Rummenigge beispielsweise. Auch aus anderen Ländern wurden ältere Stars verpflichtet. Mittlerweile gehen altgediente Fußballer verstärkt in die arabischen Öl-Länder und beenden dort ihre Karriere. Braucht die J-League die Altstars nicht mehr?

Es stimmt – früher hat die J-League versucht, bekannte Ausländer zu kaufen. Das ist heute anders. Mittlerweile sind die Vereine verstärkt dazu übergegangen, junge und talentierte Spieler aus Japan zu suchen. Wenn Vereine aus der J-League Ausländer verpflichten, dann suchen sie ganz gezielt nach preisgünstigen Ausländern, die noch keine Stars sind, und hoffen auf eine positive Entwicklung. Der Auslöser für diesen Strategiewechsel war die japanische Wirtschaftskrise. Die finanzielle Situation der Vereine ist heute nicht mehr so gut wie zu der Zeit, als die J-League startete.

Gibt es eine Ausländer-Beschränkung in der J-League, oder könnte ein Verein – so wie in Deutschland – theoretisch 11 Ausländer gleichzeitig auf den Platz schicken?

In Japan kann eine Mannschaft offiziell drei ausländische Profis einsetzen. Hinzu kommen aber noch zwei Ausländer, die dem U-20-Jahrgang entsprechen, und ein Ausländer, der als Vertragsamateur gemeldet ist. Ein weiterer Ausländer darf spielen, wenn er aus einem Land kommt, das zum Kontinentalverband AFC gehört. Es sind theoretisch also sieben Nicht-Japaner pro Team, die in der J-League gleichzeitig eingesetzt werden dürfen.

Die J-League scheint also auf junge Spieler zu setzen und hofft auf deren Talente. Gibt es abgesehen von Uchida, Kagawa und Co. denn schon Erfolge mit dieser neuen Strategie?

Es gibt einen sehr interessanten Trend, den man als „über Japan in die Welt“ bezeichnen kann. Beim FC Porto spielt der Stürmer Hulk aus Brasilien. Er wurde kürzlich von der UEFA in die Top-10 der „Rising Stars“ gewählt. Vor Kurzem noch spielte Hulk in der zweiten Liga hier in Japan. Er kam aus Brasilien, wo er nicht erfolgreich und deshalb unbekannt war, nach Japan. Hier spielte er bei verschiedenen Vereinen und landete schließlich beim Zweitligisten Tokyo Verdy. Dort schoss Hulk in einer Saison 37 Tore, wurde damit Torschützenkönig und machte sich für Europa interessant. Heute spielt er mit Porto in der Champions-League. Ein anderes Beispiel ist Seydou Doumbia aus der Elfenbeinküste. Derzeit spielt er für ZSKA Moskau, doch als er jung war, startete seine Profikarriere ebenfalls in der zweiten japanischen Liga durch. Von Japan aus wechselte er dann zu den Young Boys Bern und schließlich nach Moskau.

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Gleich geht’s los im Nack-5-Stadion, der Heimat von Omiya Ardija.

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Yumiko, eine letzte Frage habe ich noch, allerdings nicht von mir, sondern von meiner Frau: Sie würde von dir gerne hören, dass Atsuto Uchida viel hübscher ist als Shinji Kagawa. Oder sehen japanische Frauen das vielleicht anders?

Hahaha, natürlich ist Uchida viel hübscher als Kagawa! Du kannst deine Frau beruhigen. Ich bin mir sicher, dass neun von zehn Frauen in Japan das genau so sehen.

Dann bleibt mir eigentlich nur noch eines zu sagen: この素敵なインタビューありがとうございました。

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25 Kommentare zu “„Uchidas Mentalität wird Schalke helfen“”

  1. Kurtspaeteram 2. Dezember 2010 um 07:58 1

    Kompliment für das komplette Interview. Sehr schön.
    Und die allerletzte Frage ist ein Lacherfolg. Hat sich Deine Frau gut ausgedacht…

  2. Pepoam 2. Dezember 2010 um 08:06 2

    Danke.

  3. blogundweiß.deam 2. Dezember 2010 um 09:21 3

    Von mir auch ein Dank für die Mühe an euch beide.
    Richtig schön zu lesen die ganze Geschichte.

    Hätte gerne noch etwas über die Choreos in Japan erfahren. Vielleicht kannst du noch was dazu sagen, Yukimo?

  4. Andi M.am 2. Dezember 2010 um 09:23 4

    ´Wir ham den Hübscheren, scha-la-la-lala!‘

  5. wilboram 2. Dezember 2010 um 09:43 5

    Weltklasse! Danke für die Arbeit, die Du hier investiert hast.
    Rest per Mail…

  6. david04am 2. Dezember 2010 um 10:28 6

    HULK! Wie geil, haha!

  7. Floam 2. Dezember 2010 um 11:43 7

    Sehr schöner Abschluss des Interviews. 🙂 Vielleicht gibts ja irgendwann mal ne Fortsetzung.
    Danke an euch beiden für die Mühen.

  8. Mattiam 2. Dezember 2010 um 12:25 8

    Ganz ehrlich:
    ich glaube das ganze Interview ist ein Fake!

  9. matthiaßam 2. Dezember 2010 um 12:28 9

    Ich bin der Meinung: das war SPITZE! (HÜPF)
    Danke!

  10. Sasaam 2. Dezember 2010 um 12:43 10

    Ein tolles Interview! Schön, mal so einen Blick über den Tellerrand werfen zu können und soviel über die japanische Fußballkultur, die Wahrnehmung der Bundesliga und des FC Schalke 04 in Japan und über Atsuto Uchida zu erfahren.
    Mir ist er ja auch grundsympathsich. Ich hoffe er kämpft sich durch diese etwas schwierige Anfangsphase. Die letzten Wochen haben da ja schon etwas Hoffnung gegeben.

    @Matti:
    Weil…?!

  11. Philam 2. Dezember 2010 um 14:22 11

    Ein absolut gelungener Dreiteiler. Als nächstes würde ich dann gerne was über die fremde Kultur von Klaas-Jan Huntelaars Heimat erfahren. 😉
    Nein, Spaß beiseite: Ich vermute, dass hinter dieser Geschichte unfassbar viel Arbeit steckt. Danke dafür!

  12. Frank Lehmannam 2. Dezember 2010 um 19:51 12

    Mathias, ich habe lange nicht so ein kurzweiliges Interview gelesen, Respekt, Respekt.

  13. Jensam 2. Dezember 2010 um 20:23 13

    Ganz feiner Lesestoff. Hut ab.

  14. aweam 2. Dezember 2010 um 23:05 14

    tolles Interview. Nett auch mal aus der Sicht des „Fremden“ unseren Club und unsere Liga zu sehen. Danke für die Arbeit.
    Gruß an Yumiko.
    Glückauf!

  15. mberghoeferam 3. Dezember 2010 um 12:37 15

    große Klasse, von vorne bis hinten, inklusive der Fotos.
    Jetzt bin ich natürlich angefixt und erwarte ähnlich Phantastisches aus künftigen Gesprächen von dir mit weiteren internationalen Schalke-Bloggern. Fur das hier schonmal tausend Dank!

  16. Marcel04am 3. Dezember 2010 um 13:02 16

    … kann mich meinen Vorpostern nur anschließen: More please!

  17. Matthiasam 3. Dezember 2010 um 13:24 17

    Danke für die vielen lieben Kommentare in den letzten Tagen.

    Natürlich würde ich gerne irgendwann einmal ein weiteres Interview mit einem Fußballinsider aus einem anderen Land führen, doch dazu müsste ich erst einmal einen Kontakt haben. Yumiko war diesbezüglich ein wirklich glücklicher Zufall.

    Aber mal schauen: Einen konkreten Gedanken in Richtung eines zukünftigen Gesprächspartners habe ich schon. Und vielleicht meldet sich ja sogar jemand bei mir, der das hier liest.

  18. mberghoeferam 3. Dezember 2010 um 15:32 18

    Shane ausm Amiland war letztens wieder aktiv – den könntest du ja mal anhauen (http://schalke.theoffside.com/)

  19. Matthiasam 3. Dezember 2010 um 16:09 19

    Danke für den Tipp! Kontaktanfrage ist schon gestellt. Mal schauen, ob es hinhaut.

  20. scho-chanam 3. Dezember 2010 um 21:03 20

    Tolles Interview!
    Vielen Dank für die große Mühe, ihr Zwei!
    Ich als Japanerin habe mit viel Spaß gelesen.

    Hut ab Yumiko, dass du sooooo viele Fragen auf Deutsch beantwortet und für deinen Blog auf japanisch übersetzt hast.

  21. Dirkam 4. Dezember 2010 um 11:36 21

    Coole Sache. Echt toll gemacht. Vielen Dank Euch beiden für die ganze Mühe und die Aufbereitung. Trägt auch ein bißchen dazu bei, dass man über den Tellerrand hinausschaut, was woanders so los ist. Und Japan hat man ja nicht so wirklich oft auf dem Schirm.

  22. Gordenam 4. Dezember 2010 um 15:01 22

    Klasse Interview. Danke!

  23. Carlitoam 4. Dezember 2010 um 23:05 23

    Wiederhole mich wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit, aber echt nen klasse Interview von Euch beiden!

    Ich bekomme glatt Lust in den Flieger zu steigen und nach Japan zu fliegen…

    Und bitte, wenn möglich, mehr davon! 🙂

  24. konn0ram 7. Dezember 2010 um 16:21 24

    ich glaube ich weiß schon, was die gute Frau beruflich macht: Statistik 😀

  25. supraam 17. Januar 2011 um 00:14 25

    was ist nun aus der sache mit shane geworden? top interview.
    und kommt nochmal iwann ein update aus japan? =)