Pyrotechnik ritualisieren?

23. Nov. 2011 | 14 Kommentare

Kennst du sie noch, die diversen „Manolos“, die in den 70er, 80er und 90er Jahren die Zäune erklommen um den Fans mit einer kübelgroßen Pauke einzuheizen? Auch Schalke hatte mit Catweazle so einen bunten Hund, der fast drei Jahrzehnte lang im Stadion den Takt angab. Nicht überall – insbesondere auswärts – waren die Trommler jedoch gerne gesehen. Wer in einem fremden Stadion auf den Zaun kletterte, wurde von den Stadionordnern schnell einkassiert. Da war es egal, welches Standing die jeweiligen Trommler innerhalb der Fangruppierung hatten. Den Spruch „Fußballfans sind keine Verbrecher“ gab es damals so noch nicht, aber die Empörung im Block war riesengroß, wenn der Vortrommler vom Zaun geholt, seines Instruments entledigt oder sogar abgeführt wurde. Jede Fangruppe nahm für sich das Recht auf mindestens einen Trommler in Anspruch und jeder, der dieses Recht einem anderen Recht (der Stadionordnung) unterordnete, war ein Feind des Fußballs. Der Trommler – ja – das war der Held der Kurve. Er sorgte für Emotionen, für Bilder, für das Gemeinschaftsgefühl. Er war das Aushängeschild der Fanszene. Das alles ist nun schon fast ein Vierteljahrhundert Geschichte.

Heute gibt es immer noch Trommler, in vielen Stadien. Mit dem Einlauf der Mannschaften betreten sie mit ihren riesigen Pauken die Bühne und marschieren dann fein aufgereiht zu den ihnen zugewiesenen Plätzen. Dort stehen sie dann in ihren Kutten, stets zum Anschlag bereit. Bumm. Bumm. Bumbumbum. Minutenlang. Bumm. Bumm. Bumbumbum. Und wenn ein Tor fällt für ein paar Sekunden: Bum Bum Bum Bum Bum Bum! Sie erzeugen einen mit viel Liebe einstudierten Klangteppich, der in einigen Weltreligionen erfolgreich zur meditativen Selbstfindung eingesetzt wird.

Der Trommler als Outlaw, als verwegener Held der Kurve, als witziger Asi von nebenan, als einer von uns – das war einmal. Heute sind Trommler schmückendes Beiwerk, gehören zur Eventfolklore wie dauerwinkende Maskottchen und aufblasbare Luftsäulen, die hektisch mit angedeuteten Armen im Wind wackeln. Aus dem Symbol einer lebendigen, sich nichts unterordnenden Fankultur ist die Karikatur eines gleichgeschalteten, vereinnahmten, pflichtbewussten Vertragsjublers geworden.

Die Fanszene, diejenigen die in TV-Berichten reflexartig „Die Treuesten der Treuen“ genannt werden, hat indes einen neuen Typus Outlaw für sich entdeckt: den Bengalo-Schwenker. Nur mit Bengalos und anderer Pyrotechnik können sich die Fans heute ausdrücken, können sie den Zauber und das Gruppengefühl aus dem Block hinaus in die Welt tragen. Das behaupte nicht ich, dass schreiben organisierte Ultras. Dafür kämpfen sie seit Jahren, führen Gespräche, veröffentlichen Fotos auf Websites und kleben Aufkleber. Natürlich wissen auch sie, dass „Pyro“ potenziell gefährlich ist und nur in die Hand von verantwortungsvollen Menschen gehört. Sie bieten deshalb an, Vertreter zu entsenden, die eine Sprengmeister-Schnellausbildung absolvieren sollen, um die Pyrotechnik gefahrlos in vorher festgelegten und dementsprechend gesicherten Arealen entfachen zu können. Sie haben sich konkrete Vorschläge zum zeitlichen Ablauf überlegt. Zu festgelegten Zeitpunkten und/oder Ereignissen solle demnach „Pyro-Zeit“ sein. Dann wollen die Ultras ihre legalen Bengalos entzünden und sich gleichzeitig sportlich fair aus ganzem Herzen an der Darbietung der gegnerischen Feuertechnik erfreuen. Im Gegenzug für dieses Entgegenkommen will man sich dazu verpflichten, nie wieder einen illegalen Böller oder eine nicht genehmigte Bengalo-Fackel zu entzünden.

Pyrotechnik sorgt in Stadien regelmäßig für Probleme. In Zeiten überdachter Arenen, die dermaßen schlecht durchlüftet sind, dass selbst der Rasen mangels Luftzirkulation regelmäßig elendig verreckt, sollte fast jedes Mittel recht sein, einen illegalen Rauchtopf zu verhindern. Doch gehört zu diesen Mitteln auch die Legalisierung von Pyrotechnik?

Vielleicht sollte der DFB über seinen Schatten springen. Vielleicht sollten die ausgebildeten Bengaloschwenker ins Vorprogramm integriert werden. Tolle Bilder für die TV-Kameras wären garantiert, wenn die Spieler das Feld betreten und anstelle von Einlaufkindern Bengalo-Ultras an den Händen hielten. Vom Mittelkreis aus ginge es dann direkt in die vordefinierte „Pyro-Zone“ im Block, wo – aufgereiht wie eine Perlenkette – die Bengalo-Schwenker ihr Flämmchen pflichtbewusst emporrecken könnten. Ohohohohoooo, ohohohohoooo würde der Block singen, minutenlang, ohohohohoooo, ohohohohoooo. Nicht einmal, jedes Mal. Bei jedem Spiel. Bei jedem Tor. Immer und immer wieder. Genauso wie die Trommler ja auch immer trommeln. Bis es irgendwann niemand mehr sieht, weil es austauschbar geworden ist. Würde es dir auffallen, wenn die Trommler eines Tages nicht mehr da wären? Als Catweazle in den 90ern – ich weiß nicht mehr, bei welchem Spiel es war – einmal nicht auf seinem Zaun saß, machte in der Nordkurve direkt das Gerücht die Runde, er sei in der vergangenen Woche verstorben. Würde so ein Gerücht auch aufkommen, wenn mal ein paar offizieller Trommler fehlten?

Der Vergleich zwischen Catweazle und den Arena-Trommlern ist nicht statthaft? Der Ãœbertrag  auf die aktuelle Pyrotechnik-Diskussion ist überzogen? Unrealistisch? Entgegen jeder Ultra-Ethik? Sicherlich! Aber so wie „Pyrotechnik legalisieren“ derzeit von den Befürwortern als 100% sicherer Freizeitspaß – ausschließlich ausgeübt von ausgebildeten Pyrotechnikern zu festgelegten Zeiten an festgelegten Orten – dargestellt wird, ist das Szenario von gleichgeschaltet nach Regieplan in Sicherheitszonen beamtenmäßig gezündeten, TÃœV-abgenommenen Bengalos näher an den Forderungen dran als das Bild eines spontan, entfesselt, sich dem üblichen Kommerz entziehenden feiernden Fanblocks.

Oder – um es andersherum zu sehen: Das Bild, das mit „Pyrotechnik legalisieren“ verkauft wird, hat mit dem, was sich die Szene davon verspricht, in etwa soviel gemeinsam wie ein entfesselt im Zaun herumhüpfender Catweazle mit einer mit Gazprom-Logos beklebten Pauke eines Arena-Trommlers.

Die Frage ist nur: Steckt hinter dieser laut schreiend offensichtlichen Diskrepanz Kalkül, oder haben sie es selbst nur noch nicht bemerkt?

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14 Kommentare zu “Pyrotechnik ritualisieren?”

  1. TobiTatzeam 23. November 2011 um 09:21 1

    Eine sehr interessante Sichtweise, die so manchem Ultra nicht gefallen wird.
    Ich kenne Catweazle auch noch aus den Parkstadion Zeiten. Ehrfürchtig hat man zu ihm nach oben geschaut und je näher man bei ihm stand, desto intensiver war das Gefühl, ein Teil der Bewegung zu sein.
    Heute meide ich in der Nordkurve den Bereich der Ultras. Nicht, weil ich sie nicht leiden kann oder ich die Idee doof finde. Ganz im Gegenteil. Ich finde die Ultra Bewegung im Großen und Ganzen ziemlich romantisch und sympathisch. Ich stigmatisiere sie auch nicht als Hirnlose, Schläger und Egoisten. Mir geht vielmehr der Druck, ständig singen zu MÜSSEN auf die Nerven. Ich supporte trotzdem einen Großteil des Spiels und mache ich mal Pause, dann nur, weil der Capo zum 1904ten Mal den gleichen Singsang anstimmt.
    Ich finde, man sollte es auf einen Versuch ankommen lassen. Bengalos sind etwas besonderes. Ob sie es bei einer Legalisierung bleiben werden, da bin ich mir nach deinem Text nicht mehr so sicher.

    Und sonst so? Happy Birthday, Matthias! <3

  2. toms3nam 23. November 2011 um 09:54 2

    Sehr unterhaltsam, auch wenn ich nicht alles so unterschreiben kann. Zeiten ändern sich und erst recht der Profifußball und das drumherum.
    So wie die Kurve nicht mehr von 35+ versoffenen Kutten dominiert wird, die Baseballkappe die Fan-Schlägermütze ersetzt hat, so entwickelt sich auch der Support in eine neue (ohne Wertung) Richtung.
    Ich bin bei dem Thema Bengalos hin und her gerissen. Gern sehe ich die Kurven kurzzeitig im Feuer erstrahlen, auf der anderen Seite kann ich mir nicht vorstellen, dass auch eine vom Verein gesteuerte Ausgabe an entsprechenden Mitteln dauerhaft diszipliniert eingehalten werden würde.
    Da die Alternative aber lautet, Hinz und Kunz schmuggeln irgendwas rein, brennen es ab und schlimmstenfalls werfen sie es dann noch auf den Rasen, würde ich einen Versuch der Legalisierung gerne umgesetzt sehen. Schlimmer als jetzt kann es ja nicht werden und bei Nicht-Einhaltung der Regeln seitens der Ultras, hätte der Verein auch entsprechende Argumente für einen Verbot.
    Kleine Korrektur: Catweazle saß in der Nordkurve im Parkstadion nie aufm Zaun, sondern stand auf einem Wellenbrecher und lehnte am Lautsprechermast. 😉

  3. Hütte04am 23. November 2011 um 16:17 3

    Ich muss für mich sagen, dass ich grundsätzlich für Bengalos bin. Aber dazu muss ich sagen: 1. Es sollten nur ausgebildete Leute machen und dann auch nur kontrolliert bei irgendwelchen Choreos oder beim Einlauf. Und 2. sollten es NUR Bengalos sein. Ich schließe mich an dieser Stelle der Ultras Ge an und bin gegen Böller, da sie, egal wie man sie anwendet, gefährlich sind. Wirft man sie auf den Rasen geht der Rasen und auch, mit Pech, ein Spieler. Und was passiert, wenn man den Böller im Block lässt muss man glaub ich nicht erläutern. Die Ultras Ge schrieben selber folgendes:

    >Auch beim Derby wollen wir keine Böller und keine Leuchtraketen – lasst den Kram zu Hause!<

    Ich hoffe, dass sie es durch boxen können! Desweiteren schließe ich mich meinem Vorredner an: Happy Birthday!!!

  4. Rudinhoam 23. November 2011 um 18:33 4

    Die Idee mit den Bengalo-Ultras als Einlaufkinder ist wirklich bösartig gut.

  5. Uerdingeram 24. November 2011 um 19:15 5

    Bei der Lage der Gastfanblöcke in den Stadien ist es durchaus überlegenswert nur die Heimatultras eine folklorelastige „Arena-in-Flammen“-Show abziehen zu lassen. dazu im Hintergrund klassische Musik und eine Lasershow. Zwischen den Ultragruppen entflammt ein Wettbewerb wer dem Gästefanblock die heißeste Szene machen kann. Funkenregen vom Oberrang, welch eine schöne Vorstellung. Jeden Monat wird bei der Sportschau die „Fackel des Monats“ überreicht. Am Ende des Jahres wählen die Zuschauer die „Leuchte des Jahres“

    Pfft. Ich sehe schon wie die Gäste und an der Brandaktion nicht beteiligte Fangruppierungen ihre privatorgansierte und unabgestimmte Inszenierung starten.

    Mal im Ernst: Wenn die Ultras es bis heute selbst nicht schaffen bei Ihren Pyroaktionen ein kontrolliertes Abfackeln zu organisieren und einen Bereich für das Abbrennen und Entsorgen der Materialien im eigenen Kurvenbereich abzutrennen, warum sollte es nach einer Legalisierung besser werden? Das Verhalten dieser Fangruppierungen zeugt „bisher“ in der Regel nicht von Weitsicht und Rücksicht.

    Glück auf

  6. nedfulleram 24. November 2011 um 22:03 6

    Eine sehr interessante Sichtweise.
    Je kommerzieller es gemacht wird, desto weniger wollen die Ultras es machen. Kein schlechter Plan.

  7. skAndyam 25. November 2011 um 08:58 7

    Ich finde den Artikel großartig. „Die Ultras“ wissen selbst nicht was sie wollen. Das sind Machtspielchen, die zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis kommen können. Für keinen.

  8. Carlito69am 26. November 2011 um 23:32 8

    „Die Frage ist nur: Steckt hinter dieser laut schreiend offensichtlichen Diskrepanz Kalkül, oder haben sie es selbst nur noch nicht bemerkt?“

    Interessante Frage! Und sehr guter Beitrag!

  9. RWDJojoam 23. Februar 2012 um 10:02 9

    auch wenn der Artikel schon ein wenig älter ist… in der aktuellen 11-Freunde-Ausgabe wird auf diesen Blogeintrag hingewiesen.

    @Uerdinger
    Die Ultras schaffen derzeit keine abgetrennten, sicheren Bereiche in der Kurve zum Abbrennen von Pyro, weil das Abbrennen verboten ist und der / die Täter mit einem mehrjährigem Stadionverbot sowie einer Geldstrafe rechnen müssen. Da wäre man ja schön blöd, wenn man den Zündler isolieren würde. Die Ordnungskräfte im Stadion hätten dann ja kein Problem den Täter zu identifizieren und dingfest zu machen. Also ist deine Aussage, die Ultras schaffen es ja jetzt noch nicht mal Pyro kontrolliert abzubrennen völliger Schwachsinn!!!

    Zum Thema:
    Ich find es super, wenn im Stadion Pyro gezündet wird. Das sorgt einfach für eine tolle Atmosphäre.
    Am Sonntag beim Spiel gegen Wolfsburg, fand ich auch die Rauchaktion der Wölfe super! Das sah gut aus, hat das Spiel nicht gestört und ist auch zügig abgezogen, obwohl sogar das Dach geschlossen war.
    Ich sehe aber auch das Problem, dass es bei einer Legalisierung, die nur unter strengen Auflagen möglich wäre (derzeit steht ja nicht einmal das zur Debatte), dieses Flair, dass zum Teil auch durch das Verbot erzeugt wird, verschwindet. Pyrozonen, feste Termine zum Zünden, etc. etc. sorgen dafür, dass aus dem spontanen Zünden eines Bengalos eine Show wird, die früher oder später von den Medien und Sponsoren als Event vereinnahmt wird. Und das will ja kein Mensch, dem etwas an der Fußballromantik liegt.
    Ich wäre dafür, dass man Pyro ohne große Auflagen legalisiert. Man sollte lediglich verhindern, dass außer Rauchbomben und Bengalos, auch Böller und Leuchtspurgeschosse gezündet werden, während des Spiels sollte Pyro in großen Mengen unterbleiben, keine Entsorgung der Fackeln auf dem Spielfeld.
    Leider bezweifle ich, dass sich a) jeder an solche Regeln halten würde und b) diese geringen Auflagen dem Verband ausreichen.

    Daher wird es so weiter gehen wie in den letzten Monaten. Es wird insbesondere auswärts gezündelt, die Medien machen aus jedem Bengalo / Rauchbombe Fanrandale und der Verband wird die Vereine mit immer drastischeren Geldstrafen belegen, die dann immer öfter auf die Täter umgelegt werden.
    Es wird aber in Deutschland weiterhin keine Verletzten durch Pyrotechnik, die einigermaßen verantwortungsbewusst gezündet und entsorgt wird, geben.

  10. Matthiasam 23. Februar 2012 um 10:56 10

    In der aktuellen 11-Freunde-Ausgabe wird auf diesen Blogeintrag hingewiesen.

    Echt? Das wusste ich noch gar nicht. Muss ich mir nachher mal anschauen. Danke für den Hinweis.

  11. RWDJojoam 23. Februar 2012 um 12:11 11

    Die Ausgabe is ja auch erst seit heute im Handel bzw. seit gestern im Briefkasten!
    Die 11-Freunde gehen in ihrem Fazit in deine Richtung!

  12. Uerdingeram 17. Mai 2012 um 16:06 12

    @RWDJojo: Habe Deine Anwort erst heute gesehen.

    „Also ist deine Aussage, die Ultras schaffen es ja jetzt noch nicht mal Pyro kontrolliert abzubrennen völliger Schwachsinn!!!“

    Danke. Wenn Du das letzte Relegationsspiel gesehen hast, konntest Du dich sicherlich von dem Schwachsinn überzeugen. Auf weitere Beispiele verzichte ich. Wirst Dich da bestimmt besser aus kennen als ich.

  13. RWDJojoam 18. Mai 2012 um 16:56 13

    @Uerdinger
    Bitte 😉
    Also beim letzten Relegationsspiel wurden im Hertha-Block Bengalos gezündet und bis zum Abbrennen in der Hand gehalten. Das Gleiche passierte im Bereich der Düsseldorfer Ultras. Kontrollierter kann man bei aktueller Verbotslage keine Bengalos zünden. Aber leider gab es im Hertha-Block zig Schwachköpfe, die Leuchtspurgeschosse auf den Rasen gefeuert haben. Diese Dinge haben definitiv nix im Stadion zu suchen und sind im Übrigen auch nicht gemeint, wenn es um die Legalisierung geht.

  14. Uerdingeram 18. Mai 2012 um 18:37 14

    🙂
    Stimmt. Die Bengalos wurden bis zum Abbrennen in der Hand gehalten. Habe wohl das falsche Spiel gesehen.

    Macht nix. Wird eh nicht legalisiert. Falls doch spendier ich die „Fackel des Monats“.