Die kleine Geschichte von der alten Wiese

28. Mrz. 2012 | 6 Kommentare

Am 24. August 1963 rollte (bundes-)deutschlandweit erstmals in einer gemeinsamen Liga der Ball. Als einer der letzten Verbände auf dem europäischen Kontinent hatte sich der DFB dazu durchgerungen, eine eingleisige Vertragsspieler-Liga ins Leben zu rufen. 16 Vereine hatten sich teilweise zur Teilnahme qualifiziert, teilweise wurden sie aber auch nach einem regionalen Verteilerschlüssel berufen und stellten sich am allerersten Spieltag dem Wettbewerb. Der erste Treffer fiel in Bremen. Der kürzlich verstorbene Timo Konietzka erzielte nach nicht einmal einer Minute das 1:0 für Dortmund in Bremen. Insgesamt zappelte am 24. August 1963 – gespielt wurde in allen Stadien zeitgleich ab 17.00 Uhr – 22 Mal das Netz. Gegen 18:30 Uhr war es auch in Münster soweit. Falk Dörr trug sich als erster Bundesliga-Torschütze des SC Preußen in die Chronik der Bundesliga ein. Zum Sieg über den Hamburger SV reichte es jedoch nicht, da Gert Dörfel für die Rothosen noch den 1:1-Endstand markierte. 38.000 Zuschauer sahen damals 22 Akteure und den Rasen des Spielfeldes. Einer davon ist heute noch aktiv: der Rasen.

Kaum zu glauben aber offensichtlich wahr: Im Stadion an der Hammer Straße liegt auch heute noch dasselbe Grün, das bereits zum Start der Bundesliga bespielt wurde. Wann es den letzten Komplett-Austausch des Spielfeldes gegeben hat, kann niemand mehr sagen. Als generellen Konsens hat man sich in Westfalen auf die Version „in den 1950er-Jahren“ geeinigt. Seitdem wurde Preußen als Gründungsmitglied der Bundesliga berufen, stieg direkt im ersten Jahr ab, erlebte in den 80er und 90er Jahren ein Zwischenhoch in der zweiten Liga, verschwand daraufhin jahrelang in der Versenkung der vierten Liga und ist seit diesem Jahr wieder in der dritthöchsten Spielklasse Deutschlands angekommen. Der Rasen wurde gemäht, gewalzt, geflickt, gesandet, gewässert, teilweise nachgesät – aber komplett blank ziehen musste der Untergrund seitdem  nie.

Rein biologisch betrachtet haben die Grashalme, die sich heute ihren Weg durch den bemoosten Untergrund bahnen, wahrscheinlich nichts mehr mit denen gemeinsam, die am 24. August 1963 die Bühne für den Start des ganz großen Fußballs bildeten. Dass man dennoch fußballromantisierend vom „Letzten Rasen des ersten Bundesliga-Spieltags“ sprechen darf ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass der SC Preußen als eines von zwei Bundesliga-Gründungsmitgliedern auch heute noch ein Feld ohne Rasenheizung bespielt. Spätestens mit dem Aufkommen der Aufwärmvorrichtungen für Fußballfelder in den 1970er und 80er-Jahren, allerspätestens seit die DFL eine beheizbare Rasenfläche zur Grundvoraussetzung für die Lizenzerteilung in den beiden höchsten Spielkassen gemacht hat, wurden bundesweit aus nahezu allen größeren Stadien die Grünflächen abgetragen, neu unterbaut und durch eine neue Wiese ersetzt. Einzig Gründungsmitglied Saarbrücken spielt im Ludwigspark ebenfalls noch auf einem Spielfeld ohne Rasenheizung. Jedoch wurde an der Saar das Spielfeld nachweislich mindestens einmal komplett ausgetauscht.

Doch nun scheinen auch die Tage des Rasens im Preußenstadion gezählt zu sein. Der drittligaweit aufgrund des desolaten Zustands als „Pferdekoppel“ verspottete Untergrund wird auf kurz oder lang einem schnöden, standardisierten, beheizten Rollrasenteppich weichen. 900.000 Euro soll die Maßnahme kosten und wäre die Stadt Münster als Stadioneigner nicht derart pleite, würden die Arbeiten eher heute als morgen beginnen. Dann verschwindet ein letztes Relikt aus den ersten Tagen der – gemessen am Zuschauerzuspruch – erfolgreichsten Liga der Welt unwiederbringlich.

Derartige Gedanken hegt in Münster offensichtlich niemand. Die Presse, der Preußen-Vorstand, die Fans und auch Teile der kommunalen Politik wünschen die holperige Wiese einfach nur zum Teufel. Dass in Rufweite der B54 ein Stück Fußballgeschichte vor sich hinvegetiert, wurde meines Wissens noch von niemandem thematisiert. Vor einigen Tagen habe ich der Marketingabteilung des SC Preußen Münster deshalb eine E-Mail geschrieben und angeregt, dass der klamme Verein den anstehenden Rasenaustausch dazu nutzen könnte, ein riesiges bundesweites Medienecho zu erzeugen. In Acrylblöcke gegossene Schnipsel des Bundesliga-Premierenrasens wären sicherlich kein Millionengeschäft, jedoch für viele Fußballliebhaber ein gelungenes Andenken.

Geantwortet hat man mir bislang nicht. Aber es soll mir später keiner vorwerfen, ich hätte es nicht versucht.

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6 Kommentare zu “Die kleine Geschichte von der alten Wiese”

  1. wilboram 28. März 2012 um 09:41 1

    Du alter Marketing Stratege. Gute Idee!
    Und ich dachte heute käme was über die ganz überraschende Verpflichtung von Edu Obasi…;-)

  2. Malaoshiam 28. März 2012 um 15:08 2

    Eine schöne Geschichte, danke! Auf dem Foto von gestern Abend sieht der Rasen schön grün aus 😉 Vielleicht kann das Goldlicht ihn noch retten?

    http://www.radioemscherlippe.de/Goldlicht-auf-Schalke.3154.0.html

    Schade, sonst muss der Rasen wohl ins Gras beißen…

  3. Kathrinam 28. März 2012 um 16:12 3

    Halt uns mal bitte auf dem Laufenden, ob die Preußen-Marketingabteilung sich noch meldet 😉 Und vielen Dank für die schöne Geschichte. Trotz zehn Jahren Münster und oftmaligem Kopfschütteln ob des Rasenzustands waren mir die Gründe bis zu Deiner Berichterstattung ebenfalls unbekannt.

  4. Der Hansam 28. März 2012 um 17:00 4

    Wenn wir schon bei fast vergessenen Anekdoten sind: Das Preußenstadion war das erste (da am ersten Spiel einzige) Stadion, das bei einem Bundesligaspiel ausverkauft war.

  5. Carlito69am 2. April 2012 um 19:52 5

    Klasse Geschichte, wieder mal was gelernt! 😉 Und auch mich würde es interessieren, ob sich die Marketingstrategen noch mal gemeldet haben. Sollten sie tun, finde ich.

  6. Matthiasam 30. Mai 2012 um 08:35 6

    Nein, gemeldet hat sich der SC Preußen nicht bei mir. Aber zumindest retten sie jetzt ein Stück Bundesliga-Geschichte. Ob sie sich dabei von mir haben inspirieren lassen oder die Sache so offensichtlich war, dass jeder darauf kommen konnte, weiß ich allerdings nicht.