Rezension: „Im Westen ging die Sonne auf“ (DVD)

31. Mai. 2012 | Kommentare deaktiviert für Rezension: „Im Westen ging die Sonne auf“ (DVD)

Bochum, Schalke, Dortmund. Ein Bekannter von mir hatte einst diese Telefonnummer: 48 04 09. Bochum, Schalke, Dortmund eben. Damit wären auch schon die drei Clubs genannt, die in den letzten Jahren den Ruhrgebietsfußball geprägt haben und noch immer prägen. Doch Fußball im Revier ist mehr als 48 04 09. Auch der MSV Duisburg hat seinen Anteil am jüngeren Glanz. Etwas verblasster ist der Ruhm bei Rot-Weiss Essen. Bei Westfalia Herne, den Sportfreunden Katernberg, der SpVgg Erkenschwick und dem SV Sodingen ist von Ruhm und Glanz nicht mehr allzu viel zu sehen. Und doch können alle diese Vereine von sich behaupten, einst in der Eliteliga des deutschen Fußballs gespielt zu haben. Damals, in der Oberliga-West, als Profifußball noch ein Schimpfwort war und die Spieler nicht nur Freunde auf dem Platz, sondern auch Kumpel unter Tage waren. Der Film „Im Westen ging die Sonne auf – Kleine Geschichten von Kohle und Fußball“ von Wolfgang Ettlich setzt diesen vergessenen Clubs ein Denkmal.

Als 1947 die Oberliga-West als höchste Spielklasse im Westen der späteren Bundesrepublik gegründet wurde, gab es wichtigere Dinge als Fußball. Das deutsche Wirtschaftswunder war noch nicht in Sicht, die D-Mark war ebenfalls noch nicht geboren, einzig die Montanindustrie im Westen begann langsam aber sicher wieder Leben in die zerstörten Städte zu hauchen. Hatten sich vor dem Krieg die ersten Großclubs im Revier etabliert und ihre Claims abgesteckt, wurde der Zähler 1947 wieder auf null gestellt. Meistertitel vergangener Tage halfen nun nicht mehr. Nur wer Arbeit bieten konnte, konnte auch Brot bieten. Und wer Brot hatte, dem stand der Sinn nach Spielen.

Filmemacher Wolfgang Ettlich beschreibt die Geschichte einiger dieser Clubs, die kurzfristig das Vakuum füllten, das Schalke und Co. hinterlassen hatten. Er erklärt dabei vor allem, wie eng die Verbindung zwischen den Zechen und den Clubs war. „Gespielt wurde auf dem Platz, geduscht wurde in der Kaue. Man wohnte nicht weit vom Pütt entfernt und ging ins Stirnberg-Stadion. (…) Es war ein offenes Geheimnis, dass ein Vertrag als Spieler die Arbeitsstelle auf dem Pütt beinhaltete.“ Diese auf die SpVgg Erkenschwick gemünzten Worte stehen sinnbildlich für alle von Ettlich porträtierten Vereine. Deshalb darf man keinen reinen Fußballfilm erwarten, sondern auch die Geschichte des Nachkriegs-Ruhrgebiets. Es geht um Lokalstolz, Brieftauben, Arbeitersiedlungen und das Zechensterben. Manchmal erscheint dieses Bild etwas zu einfach, etwas zu monothematisch, etwas zu romantisierend gestrickt. Allerdings vermitteln die zahlreichen interviewten Zeitzeugen, dass sie sich an dieses Bild gerne erinnern und gerne davon erzählen.

Stichwort Zeitzeugen. Hier fährt Ettlich neben Vereinsunikaten und einem ganzen Sack von ehemaligen Nationalspielern vor allem Willi „Ente“ Lippens auf. Der gesamte Rot-Weiss-Essen-Block ist eine einzige unterhaltsame Ente-Show. Doch auch wenn die Promi-Dichte recht hoch ist, sind es doch die stillen Helden im Hintergrund, wie der honorige Sodinger „Herr Wehrenbrecht“, die dem Film sein Leben einhauchen.

Etwas zu kurz gekommen sind die historischen Spielszenen. Zu Beginn eines jeden Vereinsblocks – der Film ist strikt in Kapitel unterteilt – gibt es hier und da ein paar schwarz-weiß-Filmchen, selten jedoch mehr als 10 Sekunden am Stück. Ich hätte mir ein paar mehr Bewegtbilder gewünscht, jedoch entzieht sich der Film so dem Vorwurf, eine Oberliga-Sportschau zu sein. Nein, im Zentrum von „Im Westen ging die Sonne auf“ steht eben nicht der gespielte Fußball der vergangenen Tage, sondern das, was aus den Vereinen und den Menschen wurde. Und das ist schön.

„Im Westen ging die Sonne auf“ ist mittlerweile satte 10 Jahre alt. Man merkt dem Film das Alter jedoch nicht an. Die Geschichten der Clubs sind zeitlos, vor allem, weil sie – mit Ausnahme von RWE – alle dasselbe Schicksal teilen und nach der Gründung der Bundesliga ebenso schnell wieder verschwanden, wie sie einst auftauchten. Ich finde es ist ein wichtiger Film. Wichtig für alle, die erfahren wollen, warum die fußballinteressierte Väter- und Großvätergeneration heute bei den Namen von in den niedersten Klassen kickenden Dorf- und Stadtteilclubs glasige Augen bekommt. Ich habe die knapp 90 Minuten gerne genossen.

Vor ein paar Jahren adelten die „11Freunde“ den Film und nahmen ihn in ihre Kollektion auf. Auch deshalb gibt es mittlerweile (mindestens) drei verschiedene DVD-Ausgaben der Doku. Neben der 11Freunde-Edition ist es noch eine von Baukau-Media und eine des Westdeutschen Rundfunks, der der Film eins co-produzierte. Klingt verwirrend, ist aber letztendlich eine feine Sache, denn Amazon.de listet alle Versionen sowohl neu als gebraucht für Preise ab unter 5,- Euro. Man hat also die freie Auswahl. Wenn du mich fragst: Das ist gut angelegtes, kleines Geld für eine zeitlose und vor allem sehr schöne Fußball- und Ruhrgebiets-Dokumentation. Einen Trailer gibt es bei YouTube.
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Im Westen ging die Sonne aufamazon.de
Regisseur:
Wolfgang Ettlich
Erscheinungstermin:
17. November 2003
Spieldauer:
84 Minuten
ASIN:
B0000WMZ4W

Hinweise zu den Rezensionen: Im Rahmen einer lockeren Reihe stelle ich Bücher und Filme vor, die sich mit Schalke im Speziellen oder Fußball im Allgemeinen beschäftigen. Dabei erhebe ich weder den Anspruch der Allwissenheit noch der geschmacklichen Wortführerschaft, lege aber Wert darauf, dass die Rezensionen ausschließlich meine Meinung transportieren und nicht “käuflich” sind. Verlage oder Autoren, die ihre Werke hier besprochen sehen möchten, wenden sich bitte an die im Impressum genannte Adresse.

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