Die Fans und die Mannschaft

23. Mrz. 2009 | 14 Kommentare

Schalke Fanclub Monasteria

Stell‘ dir vor, du stehst in einem tollen Fußballstadion und verfolgst ein Bundesligaspiel. Deine Mannschaft liegt 0:2 hinten, doch in der 80. Minute fällt nach einem wirklich schönen Spielzug der 1:2-Anschlusstreffer durch einen Volleyschuss deines 10-Millionen-Euro-Starstürmers. Wenn dann in dir die Hoffnung auf eine packende Schlussphase aufkommt, in der dein Team noch einmal alles nach vorne wirft und mit aller Macht – zur Not auch in der fünften Minute der Nachspielzeit – den Ausgleichstreffer erzielen will, dann kann ich dir ziemlich verlässlich sagen, wo du gerade nicht bist. Auf Schalke.

Ich gehe jetzt seit fast 20 Jahren mehr oder minder zu jedem Heimspiel der Königsblauen.  Aber dass ein Anschlusstreffer derart wenige Reaktionen hervorruft wie gestern, daran kann ich mich wirklich nicht erinnern. Die Parole „Schalke sind wir“ prangte in Form eines riesigen Transparents über der Nordkurve. Das unausgesprochene „Ihr da unten seid es längst nicht mehr“ drängt sich geradezu auf. Und in der Tat muss man, wenn man der gestrigen Partie beiwohnte, zu dem Schluss kommen, dass zwischen Mannschaft und Fans mehr steht als nur ein Fangnetz vor der Nordkurve. Es ist auch mehr als ein Riss, der die Akteure auf dem Rasen von denen auf den Rängen trennt. Es ist ein ausgewachsener Bruch, der in den letzten Monaten schleichend entstand und nun die Ausmaße des Grand Canyon angenommen hat. Seit gestern wissen wenigstens die Spieler, dass es weitaus schlimmeres gibt, als nach 90 Minuten von den eigenen Fans ausgepfiffen zu werden. Wenn die Zuschauer einen Anschlussreffer schon gar nicht mehr bejubeln, weil sie wissen, dass sie nur Zeuge einer Ergebniskosmetik geworden sind; wenn sie nach 90 Minuten einfach wortlos von dannen ziehen und sich nicht einmal mehr richtig aufregen können; wenn auf dem Weg vom Stadion zu den Parkplätzen niemand mehr darüber spricht, wie das soeben gesehene Fußballspiel zustande gekommen ist und stattdessen die neuesten Sonderangebote eines Elektronikmarktes diskutiert werden – das ist allemal schlimmer.

Schalke gegen Hamburg, das war Fußball auf unterstem Niveau. Hamburg spielte stark ersatzgeschwächt auf „die Null“, Schalke werkelte extrem inspirationslos der vagen Hoffnung auf „eine Eins“ entgegen. Zweimal zappelte der Ball in der ersten Halbzeit im Hamburger Tornetz, beide Male war es Abseits. Einmal sehr deutlich, einmal etwas knapper. Schalkes einzige reguläre Chance hatte Heiko Westermann nach einer guten halben Stunde, als er mit einem Kuller-Dropkick HSV-Keeper Frank Rost beinahe auf dem falschen Fuß erwischte. In der zweiten Halbzeit wurde ein schwaches Spiel noch einmal schwächer, Tore sollten dennoch fallen. Das erste nach einem kapitalen Schnitzer von Manuel Neuer, der sich nicht auf seine Abwehrspieler Mladen Krstajic und Benedikt Höwedes verlassen und einen langen Ball vor dem Strafraum mit dem Kopf klären wollte, dabei aber Hamburgs Guererro eine 1a-Torvorlage lieferte. Das zweite nach einem kapitalen Aussetzer der gesamten Schalker Hintermannschaft, die sich von drei Hamburgern derart dilletantisch ausspielen ließ, dass das 0:2 eher peinlich berührtes Fremdschämen auf den Rängen als Wut oder Trauer auslöste. Dass der 1:2-Anschlusstreffer, eingeleitet durch den eingewechselten Christian Pander, weitergeleitet von Kevin Kuranyi und perfekt verwandelt von Jefferson Farfán, sicherlich eines der fünf schönsten Tore des FC Schalke 04 in diesem Jahr war, ist kaum mehr als eine Randnotiz. Mit einem Punktgewinn rechnete zu diesem Zeitpunkt, zehn Minuten vor dem Schlusspfiff, niemand ernsthaft. Und so war es auch egal, dass das Team die Schlussphase mit Quer- und Rückpässen vertendelte. Es regte sich auch niemand mehr darüber auf.

Auch mich kratzen die Ergebnisse und Leistungen der Blauen längst nicht mehr. Ich bin dieser Mannschaft überdrüssig geworden. Und damit mich niemand falsch versteht: Ich meine die Mannschaft und nicht den Verein. Ob Levan Kobiashvili einen Ball nach vorne, nach hinten oder zur Seite stolpert, ist mir egal. Ob Ivan Rakitic den Ball im Mittelfeld, im Sturm oder in der Abwehr verliert, interessiert mich längst nicht mehr. Ob es nun Sanchez oder Farfán ist, der in 1:1-Situationen mit einem Dribbling droht, um dann doch den kleinen Querpass zu spielen, besitzt für mich keinen Informationswert. Krstajic, Rafinha, Kuranyi? Achselzucken, bestenfalls. Auch zum Trainer möchte ich mir schlichtweg keine Meinung mehr bilden, weil ich mich dann mit seinen „Systemen“ und „Philosophien“ auseinandersetzen müsste. Und da habe ich mangels Interesse keinen Bock drauf.

Was die Mannschaft braucht ist… Nein, falscher Ansatz. Besser sollte ich schreiben: Schalke braucht eine neue Mannschaft. Es ist nicht erst seit gestern offensichtlich, dass es unmöglich ist, diesem total verkorkstem Haufen durch zwei, drei Neuzugänge neues Leben einzuhauchen. Auf mindestens sechs Positionen besteht auf Schalke radikaler Handlungsbedarf. Dass man die vakanten Positionen nicht mit teuren Stars besetzen kann, versteht sich angesichts der trüben internationalen Aussichten ganz von selbst. Aber gerade darin sehe ich eine Chance. Schalke braucht keine Spieler, die mit großen Vorschusslorbeeren anreisen, teure Ablösen gekostet haben und dann biederes Bundesliga-Mittelmaß anbieten. Die Fans lechzen nach hungrigen Typen, die ihre Chance suchen. Denen würde man ein schlechtes Spiel verzeihen, wie man auch Manuel Neuer seine immer mal wieder auftretenden Patzer verzeiht. Von diesen Typen gibt es derzeit in der Mannschaft viel zu wenige und die, die es gibt, gehen im Sauhaufen kläglich unter.

Für die nächste Saison kann und sollte Schalke aus der gestrigen Elf mit Benedikt Höwedes, Manuel Neuer, Heiko Westermann und Jermaine Jones planen. Was aus dem Rest wird? Egal.

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14 Kommentare zu “Die Fans und die Mannschaft”

  1. der_padam 23. März 2009 um 14:08 1

    Das sehe ich ganz genau so… Da das Management jetzt neu besetzt wird besteht kein Grund mehr sich über das alte aufzuregen… Nächste Saison wird hoffentlich besser. und das neue Management macht nicht die selben Fehler wie das alte. Bspw. gute Nachwuchsspieler die ich durchaus zu den von dir besagten Typen zähle zu verkaufen. Manchmal lässt sich so was nicht verhindern (Fall Özil) aber die anderen hätte man halten können und dafür den ein oder anderen Alten Herren in „Rente“ schicken sollen 😀

    @Matthias Hast du evtl. Hintergrundinformationen zu dem Fall Bordon??? Ich denke mal da wird wieder jemand dem tollen Aufsichtsrat seine Meinung gesagt habe ?! Und solche Leute werden ja eh immer gekickt…

    Grüsse

  2. charakterstärkeam 23. März 2009 um 14:16 2

    ich kann mich wieder einmal nur anschliessen. nur……. bei mir besteht diese lethargie schon seit einigen wochen – aber auch das ist ……. egal., ich hoffe, es wird kurzfristig ein neuer manager gefunden, der die ärmel hochkrempelt und ordentliche arbeit verrichtet, damit wir in der kommenden saison wieder angreifen – wie 1997 als auch keiner mit uns gerechnet hat. als alternative sollte man ruhig mal die jungen hungrigen dran lassen. warum nicht mal aus der vielgelobten jugendarbeit seinen nutzen ziehen.

  3. heinrich 03am 23. März 2009 um 14:54 3

    stimmt, ich war auch da und bin verdammt enttäuscht nach hause
    gefahren. das sind einfach keine typen. schade. müller hat mit der
    zusammenstellung des kaders doch mehr falsch gemacht als ich
    dachte. die „alten “ müssen gehen. rakitic ist wirklich eine frechheit.
    eine kleine geschichte noch dazu, gestern block x, reihe 11,
    vor uns saß ein junge mit seiner familie, als die elbstädter das 0:1
    machten fing er an zu weinen, er hat wirklich einfach so geweint,
    herr kobiashvili.
    glück auf

  4. tumulderam 23. März 2009 um 15:21 4

    Da hatten wir ja wieder einmal fast die gleichen Gedanken.

  5. matthiaßam 23. März 2009 um 15:37 5

    Es ist alles schon sehr traurig. Und Peinlch ist es auch.
    Wenn sogar schon nach dem Spiel nicht mehr geklagt wird, sondern die Angebote von Dingen besprochen werden, dann ist es sogar trostlos. Wenn ein Schalker Junge weint…
    Kopf hoch und GLÃœCK AUF!

  6. charakterstärkeam 23. März 2009 um 16:16 6

    ……… sind seine tränen blau und weiss

  7. Christinaam 23. März 2009 um 17:04 7

    Danke für die gute Zusammenfassung, Matthias. Kann mich dem nur anschließen. Ich fand es war gestern von Anfang an eine sehr komische Stimmung in der Arena und so still war es da auch schon so lange nicht mehr. Über das Spiel brauchen wir nicht mehr zu diskutieren, das hatte was von Valium.
    Ich bin auch der Meinung, das wir nicht mehr in teure „Superspieler“ investieren sollten, sondern der Jugend mal eine Chance geben sollten. Wir hatten genug junge hungrige Spieler, aber die sind ja schon bei Slomka nicht eingesetzt worden und spielen jetzt bei anderen Vereinen und komischerweise tun sie das dort nicht mal schlecht (ich sag nur: Boenisch, Hogland, Kunert, Baumjohann usw.)
    Glück auf!

  8. klausam 23. März 2009 um 18:20 8

    DIESER Beitrag ist als spricht meine Seele mit mir.

  9. ProErnstam 23. März 2009 um 20:12 9

    Wahr gesprochen, alter Indianer!
    @Heinrich03
    Mein Sohn heult auch in der Arena bei jedem Gegentor. Gott sei dank, kann ich ihn nicht immer mitnehmen. Diese Saison könnte ich ihn dann nicht mehr beruhigen.

  10. Michaelam 23. März 2009 um 22:07 10

    ich kann dir auch nur recht geben!

    Übrigens: laut Bildzeitung wird Rutten noch diese Woche rausgeschmissen! Weiß zwar nicht wieso die das immer so schnell wissen aber meistens stimmt es ja!!!

  11. charakterstärkeam 24. März 2009 um 13:04 11

    na hoffentlich

  12. das Karlchenam 24. März 2009 um 15:52 12

    Ich finde dieses ewige Genörgel am Trainer zum Kotzen. Auf dem Platz stehen die Spieler und bringen die Leistung nicht. Der Trainer kann nur durch Taktik was bewegen. Spielen müssen aber die Spieler. Wenn Bild furzt werden in Schalke die Karten gemischt. Anscheinend scheint der Stern des Südens nicht mehr als FC Hollywood zu funktionieren und man macht sich selber auf die Suche nach einen Verein den man Verreissen kann.
    Kahn wird von Bild zum Manager gemacht und ach ja, Loddar Matthäus sucht ja auch einen Job…..
    Nächste Woche werden Loddar und Olli den S04 retten……
    Wie schön das BILD die Zukunft kennt

  13. Ronam 24. März 2009 um 16:02 13

    super.. du sprichst mir in allen Punkten sowas von aus der Seele, immer wieder treffend deine Berichte

  14. RWDJojoam 18. März 2013 um 14:20 14

    Immer wieder interessant, in der Vergangenheit zu schwelgen… Ich musste schon etwas lächeln, als ich die Forderung, alle Spieler bis auf Höwedes, den Torwart, Jones und Westermann abzugeben, las.

    Zum Einen ist es interessant, dass Höwedes und Jones 4 Jahre später zu Führungsspielern geworden sind. Westermann und dem Torwart jedoch keine Träne hinterhergeweint wird. Dem Einen nicht, weil er einen schönen Batzen Kohle brachte und seitdem er Bundesligamittelmaß ist, und dem Anderen nicht, weil er die Ideale, die man durch ihn verkörpert sah, verraten hat!

    Dafür spielte ein gewisser Kevin K. danach eine super Saison und viele waren irgendwie traurig, als er ging. Und der heute vielleicht beste Fußballer (Jeff F.) in der Schalker Mannschaft wurde vor 4 Jahren vom Hof gewünscht 🙂