Mein Blick in die königsblaue Glaskugel

14. Jul. 2009 | 2 Kommentare

Zwei Trainingslager hat der FC Schalke 04 hinter sich gebracht, die ersten fünf Testspiele sind absolviert. Ging es in den ersten drei Partien durch die Bank gegen unterklassige Teams (oder Mannschaften, die gar keine Teams im eigentlichen Sinne waren), stolperte man sich am vergangenen Dienstag gegen Enschede zu einem uninspirierten 0:0. Am Samstag dann der zweite ernst zu nehmende Test und siehe da: Beim 2:1 gegen Rapid Wien bot Schalke eine durchaus ansprechende Leistung. So ansprechend, dass sogar Felix Magath sichtlich überrascht war und sich insgeheim wahrscheinlich darüber ärgert, dass er die Jungs in Herzlake anscheinend doch zu wenig gequält hat. Langsam aber sicher zeichnet sich in diesen Tagen das Gesicht des Magath’schen Teams ab. Zu diesem Zeitpunkt ist es sicherlich noch viel zu früh, Prognosen abzugeben, aber ich wage trotzdem den Blick in die königsblaue Glaskugel. Wohl wissend, dass meine Gedanken bereits morgen schon wieder Makulatur sein können.

Im Tor ist die Sache klar. Auch wenn Matthias Schober in Abwesenheit von Manuel Neuer bislang den Testspiel-Kasten hütete, ist die Position des Stammkeepers klar vergeben. Zu sehr hat sich Magath in den Zeiten des bayerischen Werbens für den Verbleib von Neuer auf Schalke ausgesprochen, als dass jetzt zu erwarten wäre, dass er auf dieser Position einen echten Konkurrenzkampf ausrufen wird.

Entgegen meiner Erwartung ist Rafinha nach wie vor ein Teil der Mannschaft. Ich hatte fest damit gerechnet, dass Schalke ihn in der Sommerpause abgeben wird und die Kriegskasse füllt. Doch anscheinend standen die solventen Interessenten doch nicht dermaßen Schlange, wie Rafinha es sich selbst gewünscht hatte. Und seien wir mal ehrlich: Bevor er in die international bei weitem nicht mehr so starke Liga Portugals wechselt, kann er besser noch ein Jahr in der Bundesliga dranhängen. An Rafinha in Normalform kommt Magath nicht vorbei und es macht auch nicht den Anschein, als wolle er es wirklich versuchen.

Heiko Westermann ist seit dem Wochenende Teil des Schalker Mannschaftsrates und hat bereits mehrfach angekündigt, dass er in dieser Saison die Rolle eines Führungsspielers einnehmen will. (Bei dieser Formulierung frage ich mich allerdings, wie Westermann seinen Job auf Schalke bislang aufgefasst hat.) Magath scheint von Westermanns bisherigen Trainingsleistungen durchaus angetan zu sein und gab ihm bereits das Versprechen, nicht mehr auf einer Abwehr-Außenposition spielen zu müssen. Den Stammplatz in der Innenverteidigung bedeutet dies jedoch noch nicht. Explizit hat sich der Trainer die Option offengehalten, Westermann auch im zentralen Mittelfeld einzusetzen. Ich hoffe inständig, dass es nicht so kommen wird und Westermann sich endlich als Innenverteidiger einspielen kann.

Denke ich an Marcelo Bordon, denke ich an einen alten Mann. Dann erschrecke ich und stelle fest, dass der Knabe fast eineinhalb Jahre jünger ist als ich. Dass ich ein großer Verehrer seiner Fußballkunst bin, ist kein Geheimnis. Dass er unter Magath noch einmal richtig anzugreifen scheint, freut mich deshalb umso mehr. Auch Bordon ist Mitglied des neuen vierköpfigen Mannschaftsrates und ich bin mir fast sicher, dass er Magaths verlängerter Arm auf dem Spielfeld werden wird. Wenn der eine über den anderen spricht, hört man daraus immer eine große Portion Respekt. Gut so. Unter Rutten hatte Bordon nicht das beste Bild abgegeben und die Mannschaft zwischenzeitlich böse hängen gelassen. Noch so ein Ego-Trip von Bordon würde mein Ansehen für ihn wahrscheinlich nicht überstehen.

Benedikt Höwedes ist in der vergangenen Saison der Bundesliga-Durchbruch gelungen. In dieser Spielzeit kommt es für ihn in erster Linie darauf an, die Leistungen zu bestätigen. An der Seite von Bordon kann er zu einem noch besseren Abwehrspieler reifen, als er es jetzt schon ist. Ich möchte zwar nicht unken, weise aber dennoch darauf hin, dass man einem jungen Spieler auch einmal zugestehen muss, dass nicht jeder Schritt ein Schritt nach vorne ist. Ich bin davon überzeugt, dass Magath dies in seine Kalkulation einbeziehen und dementsprechend handeln wird. Will heißen: sehr viele Spielminuten ja, Stammplatzgarantie nein.

Eine sehr interessante Personalie in der Abwehr ist Carlos Zambrano. Seit 2006 spielt der junge Peruaner auf Schalke, doch bislang ist er noch nicht großartig aufgefallen. Im letzten Jahr gehörte er bereits dem Profikader an, saß zumeist aber nicht einmal auf der Bank. Mein Kumpel Horst aus Brasilien hält große Stücke auf Zambrano und nach den Eindrücken der Testspiele gegen Enschede und Wien kann ich ihm nur Recht geben. Mit viel Glück gelingt Zambrano in diesem Jahr ein Schritt, wie er vor eineinhalb Jahren Benni Höwedes gelungen ist.

Christian Pander ist nominell auch noch ein Mann für die Abwehr – wenn er denn mal fit ist und spielt. Der „Local Hero“ aus Münster absolviert derzeit mal wieder ein weitestgehend individuelles Aufbau-Training. Eine Prognose in Sachen Pander abzugeben wäre Kaffeesatzleserei. Fest steht: Wenn er fit ist, ist er einer der besten Standardschützen der Bundesliga. Fest steht auch: Er ist so gut wie nie fit – zumindest niemals länger als sechs Wochen am Stück. Das ist tragisch, das ist ärgerlich, das tut mir für ihn und für Schalke auch unendlich leid. Aber das ist nun einmal auch eine Tatsache, mit der man leben und die man akzeptieren muss.

Im Mittelfeld herrscht auf Schalke das größte Gedränge – und dann wiederum auch nicht. Denn obwohl Albert Streit und Carlos Großmüller bislang unter Magath in schöner Regelmäßigkeit in den Testspielen zu kurzen Einsätzen kamen, wäre es ein Wunder, wenn einer der beiden sich tatsächlich einen Stammplatz erkämpfen sollte. Im Falle von Albert Streit deutet sich bereits jetzt an, dass er innerhalb von nur eineinhalb Jahren unter dem vierten Trainer (Slomka, Rutten, Jol, Magath) scheitert. Eventuell sollte man die Gründe dafür nicht unbedingt bei den Trainern suchen …

Der aktuell verletzte Emin Yalin scheint – zumindest für den Anfang – wohl auch eher ein Mann für die zweite Mannschaft zu sein. Positiv ausgedrückt: ein Mann für die Zukunft. Gleiches gilt für Predrag Stevanovic, obwohl ich ihm insgeheim schon zutraue, zumindest ein fester Kandidat für die Bank der Profimannschaft zu werden und somit die eine oder andere Spielminute zu sammeln. Der Grieche Vasileios Pliatsikas hat da deutlich bessere Karten. Zum einen waren seine Auftritte gegen Enschede und Wien durchaus ansprechend, zum anderen ist er der erste „echte“ Neuzugang, den Magath präsentiert hat. Ob’s tatsächlich für einen Stammplatz reicht, steht natürlich in den Sternen.

Danny Latza steht indes vor einem kleinen Dilemma. In ein paar Wochen beginnt die Vorbereitung zur U20-WM in Ägypten, für die er von Trainer Horst Hrubesch fest eingeplant ist. Gleichzeitig könnte dieses Jahr das vielleicht wichtigste für Latza auf Schalke werden, steht er doch kurz vor dem Sprung in die „spielende Mannschaft“. Auf der einen Seite das große Turnier, auf der anderen Seite die Möglichkeit, sich dem neuen Trainer zu präsentieren. Diese Entscheidung würde ich nicht gerne treffen wollen.

Levan Kobiashvili hat mich in der vergangenen Saison gleich mehrmals an den Rande der Verzweiflung getrieben. Für mich ist er mittlerweile deutlich über seinen Zenit. So deutlich, dass er es wahrscheinlich in einer anderen, deutlich schwächeren Mannschaft nicht mal ansatzweise in die Stammformation schaffen würde. Doch auf Schalke hat er den Vorteil, dass er als Allzweckwaffe irgendwo noch immer unterkommt. Es hat den Anschein, als plane Magath fest mit ihm.

Levan Kenia und Jan Morávek sind für mich absolute „Wundertüten“. Beide werden als „größte Talente ihres Landes“ gefeiert – allerdings stammen diese Superlative noch aus einer Zeit, in der auf Schalke jeder, der einigermaßen gerade vor den Ball treten konnte, von Manager Andreas Müller als Mega-Super-Transfer gefeiert wurde, den man mit viel Geschick den „Großen der Branche“ gerade noch vor der Nase wegkaufen konnte.

Jermaine Jones ist verletzt. Das ist schlecht. Er ist Teil des neu gewählten Mannschaftsrates. Das ist gut. Für die Zukunft wünsche ich mir bei Jones ein bisschen weniger Gelaber und die Bestätigung der guten Leistungen aus dem letzten Jahr. Seine Lunge ist für das Schalker Spiel unersetzlich und er wird – sobald wieder fit – ein Stützpfeiler des Teams werden.

Einen aus dem Mittelfeld habe ich mir bis zum Schluss aufgespart: Ivan Rakitic. Wer dieses Blog regelmäßig liest, weiß ungefähr, was ich von ihm halte. Bislang ist er nur als Weltmeister der Selbstüberschätzung auf Schalke aufgefallen. Jedem guten Pass folgten mindestens zehn in die Wicken. Jedem guten Freistoß folgten unweigerlich 20 grauenvolle Ecken. Für einen echten Spielmacher war Rakitic bislang viel zu langsam und viel zu berechenbar. Aber – und das ist ein Drama, mit dem Magath arbeiten muss – er ist aktuell wirklich der einzige Spieler, der auf Schalke überhaupt so etwas wie den Spielmacher geben kann. Am Samstag durfte er in Wien sogar einen Elfmeter schießen und fast hat es den Anschein, als habe Magath ihm zumindest für die ersten Wochen das Vertrauen geschenkt. Vielleicht ist dieses Vertrauen genau das, was Rakitic bislang fehlte. Vielleicht bekommt Magath ihn in den Griff. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu hoffen.

Im Sturm (fast) nichts Neues: Lewis Holtby wurde geholt – der erklärte Wunschspieler Magaths. Ist er eigentlich Stürmer oder Mittelfeldspieler? Oder irgendetwas dazwischen? Egal! Holtby ist zweifelsohne ein Riesentalent und ich bin froh, dass Schalke ihn verpflichten konnte. In seinem ersten Jahr dürfte es allerdings für ihn in erster Linie darum gehen, sich an die Bundesliga zu gewöhnen. Eine zu große Last darf man sicherlich nicht auf seine schmalen Schultern legen.

Ansonsten werkeln im Angriff die üblichen Verdächtigen. Kevin Kuranyi schoss am Samstag das 2:1 per sehenswertem Abstauber, allerdings nicht ohne zwei Sekunden vorher die 104%ige Chance auszulassen. Kuranyi ist Schalkes bester Torjäger und es wäre müßig darüber zu reden, ob er unter Magath spielen wird oder nicht. Ganz ehrlich: Wenn er auch in dieser Saison wieder mehr als 12 Buden macht, dann bin ich rundum zufrieden. Er ist Stürmer, er schießt Tore. Basta! Eine Leistungsexplosion ist bei ihm nicht ausgeschlossen, aber man muss sie auch nicht unbedingt fest einkalkulieren.

Von Jefferson Farfán muss in dieser Saison deutlich mehr kommen. In Wien holte er den Elfmeter zum 1:1 heraus, vergab allerdings fünf Minuten vorher eine glasklare Chance, indem er nicht selbst den Abschluss suchte, sondern halbherzig in die Mitte ablegte. Von einem Stürmer, der 10 Millionen Euro gekostet hat und auch schon beweisen konnte, dass er es kann, erwarte ich mit vor dem Tor einfach mehr „Galligkeit“ als das, was er bislang auf Schalke gezeigt hat. Ach ja: Und seine viel gepriesene Schnelligkeit würde ich dann auch gerne endlich mal sehen.

Hinter Farfán und Kuranyi werden sich Halil Altintop, Gerald Asamoah und Vicente Sanchez einordnen müssen. In der vergangenen Saison flüchtete Altintop zuletzt häufig ins Mittelfeld und sammelte dort Spielminuten. Ich glaube nicht, dass Magath diese offensichtliche Notlösung weiter etablieren wird. Bei Gerald Asamoah ist es wie immer, wenn ein „starker“ Trainer kommt: Er klotzt unglaublich rein und steht – glaubt man der Presse – mittlerweile an der Schwelle zur Unterernährung. Sollte es Asamoah allerdings in diesem Jahr in den Stamm schaffen, wäre das eine schallende Ohrfeige für alle anderen Stürmer auf Schalke. „Asa“ soll sich auf die Jokerrolle konzentrieren und darauf, dass er einem Spiel nach seiner Einwechslung neue Impulse geben kann. Denn das kann er, auch wenn er es im letzten Jahr nicht gezeigt hat. Bei Sanchez scheiden sich die Geister. Er ist klein, wirbelig, dribbelfreudig und ein flinker Flügelflitzer. Doch was bringen die schönsten Flügelläufe, wenn die Flanke weit hinter dem Tor landet? Am Samstag in Wien hat Sanchez selbst gezeigt, wie man es besser macht. Seine Flanke nach schönem Flügelkonter auf Kuranyi war mehr als das halbe 2:1.

Noch sind es fast drei Wochen, bis Schalke zum ersten Pflichtspiel in Köln gegen Windeck antreten muss. Danach dauert es noch einmal exakt eine Woche, bis in der Bundesliga wieder der Ball rollt. Doch so langsam aber sicher steigt in mir das Fußball-Fieber wieder. Das ist umso erstaunlicher, als dass ich bislang in dieser Sommerpause wirklich noch gar keine Entzugserscheinungen verspüren konnte.

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2 Kommentare zu “Mein Blick in die königsblaue Glaskugel”

  1. tumulderam 14. Juli 2009 um 14:09 1

    Nach den letzten beiden Saisons wären Entzugserscheinungen auch eine Überraschung. Ich bin mittlerweile aber auch wieder ganz heiß auf Schalke. Ich will endlich wissen, was der Kader unter Magath ermöglicht.

  2. Danielam 16. Juli 2009 um 08:35 2

    Schöne Zusammenschau. Hab die Vorbereitung dieses Jahr nämlich so gut wie garnicht verfolgt. Danke!