Den Umständen entsprechend gut

04. Apr. 2011 | 13 Kommentare

Schiedsrichterassistent Thorsten Schiffner ging es am Tag nach dem Becherwurf von St. Pauli „den Umständen entsprechend gut“. Das konnte man der Sonntagsausgabe der Vierbuchstabenzeitung entnehmen. Da ich nicht weiß, wie der medizinische Fachterminus für „Bierbecher an’n Kopp“ lautet und welche Erkenntnisse die Forschung für diesen Fall vorhält, war es mir nicht möglich in Erfahrung zu bringen, was „den Umständen entsprechend gut“ bedeutet. Ist es ein „Mist, ich habe mir den kleinen Zeh an der Duschpfanne gestoßen, aber mir geht es den Umständen entsprechend gut!“ oder doch eher ein „Mir musste das linke Bein amputiert werden, doch jetzt geht es mir den Umständen entsprechend gut“? Naja, irgendetwas dazwischen wird es wohl sein. Unstrittig ist, dass Schiedsrichter Deniz Aytekin die Partie am Freitag abbrechen musste. Nicht weil eine lebensbedrohliche Verletzung seines Assistenten vorlag, sondern weil eine Fortsetzung des Spiels bedeutet hätte, den Assistenten noch fünf Minuten lang mit dem Rücken zu einer 8.000-Mann-Tribüne laufen zu lassen, von der er nicht weiß, was als nächstes geflogen kommt.

Natürlich war der Bierbecherwurf die Tat eines Einzelnen, der zudem den Treffer seines Lebens landete. Bei 100 Versuchen landet ein aus 20 bis 30 Metern geschleuderter gefüllter Becher mindestens 99 Mal bestenfalls auf dem Rasen. Dumm für St. Pauli, dass es diesmal anders lief. Dumm aber auch für Schalke. Denn so wurde ein sportlich ansprechender Auftritt am Millerntor zur Nebensache. Die Königsblauen waren am Freitag besser als die Gastgeber und schafften es bis auf eine kurze Drangphase St. Paulis kurz nach der Halbzeitpause das Spiel bemerkenswert souverän zu kontrollieren.

Vier strittige Situation galt es für Schiedsrichter Aytekin am Freitag zu bewerten. Dreimal entschied er richtig, einmal lag er falsch. Ein Fehler war es, nach fünf Minuten keinen Freistoß für Schalke zu geben, als Alexander Baumjohann von St. Paulis Boll frei vor dem Tor stehend an der Strafraumkante von hinten umgetreten wurde. Da war St. Pauli im Glück. Dass dieses Glückgefühl bei den Fans zwei Gegentore und zwei Platzverweise später nicht mehr präsent ist – dafür habe ich großes Verständnis. Dennoch gab es objektiv betrachtet an den drei Entscheidungen gegen St. Pauli nichts zu deuteln: Eine gelb-rote Karte nach einem rüden Foul hinten (Kalla, 68. Minute), ein glatter Platzverweis nach einem Frusttritt (Bartels, 78. Minute) und ein nicht gegebenes Tor, dass als Exemplarisch für aktives/passives Abseits in die Lehrbücher eingehen kann. Natürlich ärgerlich für St. Pauli aber keine Entschuldigung dafür, was später passierte. Und damit meine ich gar nicht einmal den Bierbecher-Wurf eines Einzelnen, sondern die provozierenden „Deutscher Meister wird nur der BVB“-Gesänge aus den Kehlen von zigtausend Besuchern, die sich sonst doch so gerne als „die ganz besonderen Fans“ tätscheln lassen. Meine Sympathien für den Modepunkverein St. Pauli sind am Freitag auf ein Minimum gesunken.

Trotz all‘ dieser Nebengeräusche war es ein gelungener Einstand von Ralf Rangnick als Coach. Er überraschte mit einigen personellen Umstellungen und brachte Baumjohann von Beginn an. Baumjohann, unter Magath längst aussortiert, zahlte dieses Vertrauen zumindest 20 Minuten lang voll zurück, danach tauchte er ab und wurde in der Pause durch den späteren Torschützen Julian Draxler ersetzt. Rangnicks Maßnahme, in der Abwehr mit Hans Sarpei einen erfahrenen Linksverteidiger dem Vorrang vor allen Provisorien zu geben, sorgte für zusätzliche Stabilität, von der die gesamte Schalker Defensive profitierte. Rangnick bewies zudem, dass auch er bereit ist, voll auf Raúl als Seele des Schalker Offensivspiels zu setzen. Der Spanier dankte es mit dem 1:0 nach 25 Minuten. Ein überragender Farfán, ein äußerst agiler Uchida und der bis zu seiner Verletzung tadellose Kluge waren letztendlich einfach zu viel für das ersatzgeschwächte Team der Hausherren.

Der sportlich errungene 2:0-Erfolg, der heute oder morgen auch am grünen Tisch seine Bestätigung erfahren wird, sorgt dafür, dass sich Schalke mit etwas mehr Ruhe auf die kommenden Aufgaben konzentrieren kann. Noch fehlen vier Punkte, um das „Projekt 40“ erfolgreich abzuschließen, doch erstmals seit Wochen bin ich wieder voller Zuversicht, dass Schalke diese Hürde nehmen wird. Denn nach Monaten, in denen Schalke vornehmlich abseits des Fußballplatzes Schlagzeilen produzierte, präsentierte sich das Team am Freitag „den Umständen entsprechend gut“. Das macht Mut – auch für Dienstag.

Mehr zum Spiel, das laut DFB-Logik noch gar nicht stattgefunden hat, schreibt „DerWesten.de“.

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13 Kommentare zu “Den Umständen entsprechend gut”

  1. Marcel04am 4. April 2011 um 08:17 1

    Wie muss sich wohl ein Spieler von St. Pauli fühlen, wenn seine eigenen „Fans“ eine dritte Mannschaft mit Fangesängen mehr oder minder anfeuert?
    Hat St. Pauli keine eigenen Fangesänge, dass man auf das Repertoire eines anderen Vereins zurückgreifen muss?

    Bisher waren mir die Punks relativ sympathisch, das hat sich am Freitag geändert, und das lag nicht nur am Bierwurf.

  2. Detlefam 4. April 2011 um 08:17 2

    Sehr schön gebloggt. Fußball war leider die Nebensache am Freitag. Ich mußte am Wochenende manchmal würgen, wenn ich etwas zur Fankultur von St. Pauli gehört habe, die ja so besonders ist.
    Ich hoffe, daß der DFB ein zeichen setzt und eine harte Strafe ausspricht, um ein für alle mal klar zu stellen, was bei solchen Vorkommnissen die Konsequenz ist.
    Das würde ich auch fordern, wenn der Bierbecher in der Arena in GE geflogen wäre.
    Aber wahrscheinlich wird es nur eine Geldstrafe geben, wie vor 4 Jahren für die Stuttgarter Kickers im Pokal. Falls sich jemand daran erinnert.

  3. Matthiasam 4. April 2011 um 08:29 3

    Ich erinnere mich zwar nicht mehr an die Vorkommnisse bei den Kickers, aber am Wochenende wurde medial daran erinnert. Und da hieß es, Stuttgart sei mit einem Geisterspiel bestraft worden, was auch dieser Text aus dem Handelsblatt zu bestätigen scheint. Oder ist das Urteil später noch einmal abgemildert worden?

    Meine erste Reaktion war natürlich auch „Geisterspiele bis zum Saisonende!“ Als häufiger Auswärtsfahrer muss ich da aber auch an die Fans von Werder und Bayern denken, die noch bei St. Pauli spielen werden. Bei Bremen ist das Problem sicherlich kleiner, bei den Bayern kann man jedoch davon ausgehen, dass diverse Fanclubs längst Busse und Hotelkapazitäten gebucht und bezahlt haben.

  4. Marekam 4. April 2011 um 09:55 4

    ich hab im gästeblock gar nicht gesehen und mitbekommen das das spiel abgebrochen worden ist:D

  5. Henningam 4. April 2011 um 11:25 5

    Wieso sollte St. Pauli „Geisterspiele bis Saisonende“ verdient haben. Das bedeutet den wirtschaftlichen Ruin! Im Grunde kann doch St. Pauli genau so wenig für den Becherwurf wie alle anderen! Mir ist auch nicht ganz klar, wraus man hier einen Vorwurf gegen den Verein konstruieren will. Wenn der jetzt Ermessen gehabt hätte, ob er Netze aufhängt oder nicht, und sich dagegen entscheiden hat – meinetwegen. Aber sonst?
    Spielabbruch und Spiel als verloren werten. Meinetwegen kleine Geldstrafe. Aber mehr halte ich nicht für nötig…

  6. Beneam 4. April 2011 um 12:40 6

    @ Henning

    Die verlorenen / entgangenen Einnahmen können ja zivilgerichtlich eingeklagt werden. Unter Umständen hat St. Pauli hier sogar Glück; einigen Quellen habe ich entnommen, dass es sich bei dem Werfer gar um einen Business-Seat-Inhaber handeln soll. Falls das stimmt und sich ein reicher Pfeffersack aus HH daneben benommen haben sollte, hätte St. Pauli sogar eine realistische Chance neben dem Rechtstitel aus deliktischer Haftung auch tatsächlich sein Geld zu erhalten. (Mehr zur Rechtslage schreibt übrigens Thomas Wings http://is.gd/GPdul6)

  7. Matthiasam 4. April 2011 um 13:28 7

    Wieso sollte St. Pauli “Geisterspiele bis Saisonende” verdient haben. Das bedeutet den wirtschaftlichen Ruin! Im Grunde kann doch St. Pauli genau so wenig für den Becherwurf wie alle anderen!

    Wie gesagt – das war meine erste Reaktion. Mittlerweile sehe ich es gelassener. Jedoch waren es vornehmlich die Bank und die aufgeputschten Spieler St. Paulis, die so viel Gift & Galle in die Partie gebracht haben. Von völliger Schuldlosigkeit kann da nicht die Rede sein. Deeskalation sieht anders aus als das, was Stanislawski und Co. da am Freitag an der Seitenlinie abgezogen haben. Und bis zum Becherwurf steckte dahinter auch Kalkül, denn nach dem Verlauf des Spiels war klar, dass St. Pauli nur in einer aufgepeitscht-hektischen Atsmosphäre noch eine Chance gehabt hätte.

    Den Höhepunkt der Dummheit leistete sich dann Pauli-Keeper Pliquet im Nachspiel-Statement: „Ja und? Ich bekomme auch ständig Sachen an den Kopf? Das gehört einfach dazu!“ Natürlich sagte er das in der Aufregung der ersten Minuten nach dem Spiel und man sollte das nicht überbewerten. Aber es passte einfach wie Arsch auf Eimer zum Spiel St. Paulis, das hauptsächlich auf unfairer Härte gegründet war. Und wie man in den Wald hineinruft… naja.

    Um die Platzsperre wird St. Pauli nicht herum kommen. Ein Spielabbruch in der Bundesliga nach einem Wurf auf einen Schiedsrichter ist so ein dicker Brocken, dass der DFB es sich gar nicht leisten kann, es bei einer Geldstrafe zu belassen. Um so mehr hoffe ich, dass der Täter zweifelsfrei ermittelt und bis auf die Unterhose ausgezogen wird.

    @Bene: Wenn es stimmt, dass der Becherwurf von einem Business-Seat kam, würde das zumindest erklären, warum der Bierbecher voll war 😉

  8. Henningam 4. April 2011 um 14:16 8

    @ Bene
    Ich bin ja unglücklicherweise auch Jurist und habe das aus Interesse mal dort nachgelesen und kommentiert. Allzu sicher ist eine Haftung in diesem Umfang mMn jedenfalls nicht.

  9. benam 4. April 2011 um 18:45 9

    morgen ist es wieder so weit. ich kann es kaum noch erwarten und habe ein geiles video von 97 entdeckt „Die Nacht von Gelsenkirchen“
    http://www.youtube.com/watch?v=wCeKM30aNjE&feature=related

    Weiss jemand ob das DFB Pokalfinale in der Arena gezeigt wird, da ich erstaunlicherweise kein Ticket für Berlin bekommen habe und auf diese Gänsehaut in GE richtig Bock habe…..

  10. dorotheaam 4. April 2011 um 19:04 10

    Hallo Matthias, ich möchte mich einfach mal bedanken bei Dir und auch bei denen, die hier Kommentare schreiben. Ich finde Dein Blog richtig klasse und komme gerne immer wieder vorbei, um Beiträge und Kommentare zu lesen. Vielen Dank!

  11. Matthiasam 7. April 2011 um 10:52 11

    Ben fragte:

    Weiss jemand ob das DFB Pokalfinale in der Arena gezeigt wird, da ich erstaunlicherweise kein Ticket für Berlin bekommen habe und auf diese Gänsehaut in GE richtig Bock habe.

    Nachdem es zunächst im Flurfunk hieß, die Arena sei an diesem Tag schon seit zwei Jahren für eine Sonderveranstaltung gebucht, hat der FC Schalke 04 heute Entwarnung gegeben. Es wird ein Rudelkucken in der Arena angeboten, der Eintritt kostet 6 Euro, darin enthalten ist ein Gutschein für ein Getränk oder eine Bratwurst. Mehr Infos zur Veranstaltung und zum VVK gibt es nach dem Klick.

  12. benam 7. April 2011 um 15:34 12

    Vielen Dank für die Info. Seit heute kann man das CL Spiel auf Sat1.de auch relive schauen. das macht auch richtig spass…

  13. renateam 14. April 2011 um 16:24 13

    Das darf nicht passieren das ein ZuschUER ÜBERHAUPT ETWAS
    auf den Platz wirft.
    Das muß bestraft werden und das weis auch St.Pauli.