Mann tritt Junge!

25. Jan. 2013 | 12 Kommentare

Wir sind ja alle so politisch korrekt. Sobald uns etwas zu Ohren kommt, das nicht unseren Werten entspricht, werfen wir unseren Empörungsautomaten an. „Mann tritt Junge“ ist so eine Begebenheit, bei der wir uns sofort auf den großen Feldzug begeben. Allein das Kopfkino, das dieser Satz auslöst, treibt uns die Zornesröte ins Gesicht. Nun ist genau das vorgestern abend in Wales passiert. Chelsea-Spieler Eden Hazard wurde im Ligapokalspiel bei Swansea City des Feldes verweisen, weil er einen Balljungen getreten hatte.

Hazard hatte zuvor einen Balljungen nieder gerungen und auf ihn eingetreten.

schreibt der Focus. In einem weiteren –  nicht mehr online verfügbaren – Text hatte der Focus getitelt „Chelsea-Star tritt Balljungen zusammen!“ Also nicht nur getreten, sondern in einem hinterhältigen Kampf niedergerungen, auf ihn ein- und ihn schließlich zusammengetreten. Grauenhaft!


Die TV-Bilder dazu sehen anders aus. Wer auf Youtube nach „Hazard kicks Teenager“ sucht sieht einen Balljungen, der den ins Toraus gerollten Ball vom Fuß Hazards stibitzt. Als der Profi die Herausgabe des Balles fordert, den Jungen dabei eventuell an der Schulter berührt, stürzt dieser zu Boden, legt sich auf den Ball und umklammert ihn mit beiden Armen. Hazard versucht das vor ihm liegende Knäuel zu lösen. Als ihm dies mit den Händen nicht gelingt, der Balljunge sich wegdreht und den Körper weiterhin wie ein Schneckenhaus über den Ball stülpt, schnellt Hazards Fußspitze unter den Körper des Jungen, dorthin wo sich der Ball befindet. Ein Tritt, zweifelsohne. Die Rote Karte ist berechtigt.

Der Rest ist mittlerweile bekannt. Der Balljunge, Charlie Morgan, Sohn von Swansea-Anteilseigner und Vorstandsmitglied Martin Morgan, hatte vor dem Spiel auf Twitter geprahlt, der „König der Balljungen“ zu sein, dessen Dienste „für’s Zeitschinden benötigt“ werden. Das ändert nichts an der Dummheit des Tritts, lässt die Situation aber in einem anderen Licht erscheinen. Auch dass Morgan nach dem Tritt die gesamte Bandbreite des Kicker-Schauspieltums abspult – inklusive der Aufforderungsgeste an den Schiedsrichter, Hazard mit einer Karte zu belegen – lässt mich als Beobachter fassungslos zurück.

Ja, Eden Hazard hat einen Fehler begangen. Für diesen Fehler wird er sich verantworten müssen. Aber auch der Balljunge hat seinen Anteil am Drama – und ebenso die Medien, die selbst gestern noch das empörende „Mann tritt Junge“-Szenario verbreiteten.

Charlie Morgan ist 17 Jahre alt. Auf seinem Twitter-Profilbild posiert er sich mit einer Dose Bier in der Hand. Früher hätte man Halbstarker gesagt. Heute sagt man Teenager. Mit 17 ist man noch nicht erwachsen, aber der Welpenschutz der Kindheit ist ebenfalls passé. Eden Hazard ist gerade erst am 7. Januar 22 Jahre jung geworden. Keine fünf Jahre trennen den Mann und den Jungen. 22-Jähriger kebbelt sich mit 17-Jährigen verkauft sich allerdings nicht so gut.

Reflexartig wurde gestern von der Empörungsmaschine die Vorbildfunktion von Fußballern ausgespuckt. Natürlich hat sich Charlie Morgan seine Darstellung eines Schwerstverletzten von Fußballern abgeschaut. Ich finde jedoch, dass nun vor allem die FA gefordert ist, die Entstehung eines wirklich schlechten Vorbildes zu verhindern. Sollten Swansea City und Charlie Morgan ungestraft aus der Affäre herauskommen, sich am Ende gar als hilflose Opfer präsentieren dürfen, wäre dies ein schlimmeres Signal an die Jugend als ein Fußballer, dem im Affekt seine Fußspitze ausrutscht und der – anders als Swansea und Charlie Morgan – seinen Fehler längst öffentlich eingestanden und glaubhaft bedauert hat.

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12 Kommentare zu “Mann tritt Junge!”

  1. coriusam 25. Januar 2013 um 00:38 1

    Wahre Worte! Die ganzen Schlagzeilen (auch von „seriösen“ Medien) vermitteln einen Eindruck, der nicht haltbar ist, wenn man sich die Szene selbst anschaut.

  2. leonam 25. Januar 2013 um 02:40 2

    ich finde, dass es nicht nur ne fussspitze war, die nach dem ball getreten hat. da war schon (verständlicher) situationsfrust und (nicht unkontrollierte) aggression dahinter.
    aber ganz ehrlich: „miese aktion“ ist in meiner gerechtigkeitsstruktur negativer einzuordnen als „miese reaktion auf miese aktion“..
    mags auch noch so böse klingen…der junge hatte nen nachdenkschmerz verdient.
    ich würds gut finden, wenn er einsieht, dass sein verhalten und getue falsch war. da davon jedoch nicht auszugehen ist, hoffe ich, dass wenigstens die fussspitzenimpactstelle ein paar tage schmerzt.
    wovon ebenfalls nicht auszugehen ist..viel zu harmlos^^

    der, der das fair play mit füssen tritt, hat nen tritt verdient…

  3. SimSch04am 25. Januar 2013 um 09:27 3

    Wenn man nach „Hazard kicks Teenager“ sucht, finden man aber auch solche Videos, die die ganze Szene auf den Tritt reduzieren und die Entstehung gar nicht berücksichtigen. Guten Beispiel für Medienmanipulation durch Auslassen von Informationen oder Bildern.

  4. RWDJojoam 25. Januar 2013 um 09:34 4

    Blöde Aktion von beiden! Wobei ich die Aktion des Ball“jungen“ verwerflicher finde. Andererseits hätte Hazard überhaupt nicht um den Ball kämpfen müssen. Wegbleiben und fertig. Dadurch dass er den Ball holt, macht er das Spiel auch nicht bedeutend schneller.
    Die Rote Karte ist berechtigt. Er sollte sich damit trösten, dass er nur für ein paar Spiele gesperrt wird. Für seinen Kontrahenten war es wohl der letzte Auftritt seiner Karriere (in diesem „Beruf“). Dass Charlie Morgan Sohn eines Anteilseigners ist, macht die Sache nur noch ein bisschen mehr pikant…

    Eine ähnliche Aktion gab es doch mal zwischen einem Hannover(?)-Balljungen und Jens Lehmann. Das wurde dann aber zum Glück ohne Gewalt gelöst und hatte seinen Platz in jedem Jahresrückblick.

  5. Matthiasam 25. Januar 2013 um 09:46 5

    @SimSch04 Guter Hinweis, das mit der Medienmanipulation durch Auslassen von Informationen. Der Grund, warum ich nicht direkt auf ein passendes Youtube-Video verlinkt habe, ist ganz einfach: Die FA ist generell richtig fix wenn es darum geht, Videos aus Youtube entfernen zu lassen. Egal welche Video ich dazu verlinkt hätte, in zwei, drei Tagen wäre es sowieso wieder offline gewesen. Deshalb habe ich auch das von dir verlinkte Video entfernt – und weil es irgendwie das Seiten-Layout zerschossen hat.

  6. […] Schalkefan greift die Aktion auf und beschäftigt sich mit der Vorbildfunktion von Fußballern. Reflexartig […]

  7. SimSch04am 25. Januar 2013 um 10:36 7

    @Matthias ah, danke. Ich gucke mal wie ich das nächste hier posten kann, ohne das Layout zu zerstören. Ist nämlich eine nette Kameraperspektive in der Hazard den Ball und nicht den Jungen tritt. Wirft nochmal ein anderes Licht auf die Szene:

    //http://youtu.be/5K-cAfGNT6o//

  8. Henningam 25. Januar 2013 um 11:13 8

    Sehr guter Beitrag! Es ist echt ein Armutszeugnis wie selbst renomierte Meldungen geprüft übernehmen. Und das ist leider nicht auf den Fußball beschränkt…

  9. Henningam 25. Januar 2013 um 11:14 9

    „Ungeprüft“ meinte ich natürlich…

  10. Andréam 25. Januar 2013 um 12:32 10

    Hi Matthias,

    schöner Beitrag. Ich finde es auch wichtig Dinge differenziert zu betrachten. Das heißt ja nicht dass man die Tat von Hazard verharmlost, aber die Rolle des „armen kleinen Balljungen“ erstrahlt halt eben in einem völlig anderem Licht wenn man weiß dass er etwas mit Vorsatz geplant hat während der Spieler nur im Affekt drauf reagiert hat.
    Hazard wird seine Strafe bekommen, dafür sorgt schon der öffentliche Aufschrei, schön wäre es aber wenn der Junge auch seine Bestrafung bekäme, denn er selbst hat die ganze Sache ja (vermutlich vorsätzlich) angezettelt.

  11. […] hat die Sache auch eine andere Seite. Schalke-Fan sagt, was dazu gesagt werden muss. Der Tagesspiegel hat einen der dümmsten Artikel in Sachen Fußball aller Zeiten veröffentlicht, […]

  12. uweam 26. Januar 2013 um 05:53 12

    Mal wieder auf den Punkt… Danke, Matthias!

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